Becketts Wanderjahre in Österreich
Während in Marbach in diesen Tagen eine Ausstellung "Beckett und/in Deutschland" eröffnet wird, greife ich in Berlin nach meinem MS "Becketts Wanderjahre in Deutschland", das ich in den Jahren1993-95 geschrieben habe, als die "Deutschen Tagebücher" für mich noch ein Geheimnis waren. Ich hatte das Glück, dass die beiden amerikanischen Herausgeberinnen der Beckett-Briefe, Martha Fehsenfeld und Lois Overbeck, mich nach Dublin einluden und in der Handschriftenabteilung des Trinity College einführten. Dort durfte ich, weiß behandschuht, in der Korrespondenz Beckett/MacGreevy blättern und entdeckte darunter zu meinem Erstaunen Briefe und Ansichtskarten aus Deutschland aus den dreißiger Jahren. Hatte ich ein Recht, sie zu lesen? Briefe, die nicht an mich gerichtet waren? Noch stand ich ganz unter dem unausgesprochenen Gebot der Diskretion, das mich jahrzehntelang beherrscht hatte. Aber Edward Beckett war sofort damit einverstanden, dass ich mir einen Mikrofilm der Briefe beim TCD bestellte. Ich konnte ihn in einem aufwendigen Verfahren in Deutschland ausdrucken lassen, und bald hatte ich tatsächlich vier prallvolle Leitzordner mit der ganzen Sammlung zu meiner Verfügung, beginnend friday (ohne Datum), Landgrafenstr. 5, Kassel "My dear McGreevy ..." , endend am 13.9.1966. Thomas MacGreevy starb, 73jährig, am 16.März 1967 in Dublin. Beckett schrieb Tom 271 Briefe, die in dieser Sammlung erhalten sind. Sie bildeten den Anfang meiner Recherchen, vor allem im Hinblick auf Deutschland.
Die zweite "Offenbarung" für mich war die Lektüre von Becketts bis dahin unveröffentlichtem Roman "Dream of Fair to Middling Women". Sein Biograph James Knowlson gab mir eines Abends, als ich in Reading weilte, die Druckfahnen des Buchs in die Hand, die ich wohl erst im Morgengrauen aus der Hand legte.Wenn Dream nicht nur ein Traum ist sondern auf autobiographischen Fakten beruht, dann muss ich sofort nach Österreich fahren, denn der junge Held Belacqua macht sich schon nach wenigen Seiten auf nach Wien, genauer nach einem Städtchen ten miles out of town, wo seine geliebte Smeraldina-Rima in der very vanguardful Schule Dunkelbrau Musik und Eurythmie studierte. Der Name des Städtchens war Mödelberg und musste zu finden sein. Es dauerte nicht lange und ich saß im Zug nach Wien. Aber wie weiter? Ein Ort namens Mödling ließ sich finden. Sollte Beckett an Beethovens "Mödlinger Geschichten" gedacht haben? Ich fuhr nach Mödling, es war Sonntag, kaum ein Mensch auf der Straße, den ich nach einer Schule Dunkelbrau hätte fragen können. Man verwies mich an einen Professor Weyss im Bezirksmuseum, Heraldiker und Doppeladler-Spezialist. Ich bezweifelte, dass er die richtige Auskunftsperson für meine vanguardful Schule Dunkelbrau sein würde, machte mich aber auf den Weg zum Museum, hörte mir geduldig seine Ausführungen über den Doppeladler an, als plötzlich die Pilgerstraße Saint-Jacques in Paris zur Sprache kam. 55 rue St. Jacques: meine Adresse! Das war der Moment, mich bemerkbar zu machen und meine Frage zu stellen. Schon schleppte er dicke Bände Stadtgeschichte heran, wir suchten und suchten - vergeblich. Doch noch am selben Abend erreichte mich folgende Nachricht:
"Die Schule heißt Hellerau und ist in Laxenburg. Es sind verdrehte Worte von Beckett, der aus Hellerau Dunkelbrau und aus Mödelberg Laxenburg gemacht hat. Diese Rhythmik-Schule war sehr berühmt, die neue, damals ganz moderne Tänze lehrte. Der Park, der da beschrieben ist, ist der große Park von Laxenburg."
Heureka! Nun waren die Weichen gestellt, wie sie es für den jungen Beckett im Oktober 1928 waren, als er seine Smeraldina-Rima alias Peggy in Laxenburg besuchte. Der big blue Hof, ein Schloßgeviert um einen - damals - verunkrauteten Innenhof, hier hatte man ihn vor sich, den Blauen Hof, wo der junge Ire gewohnt hatte, "... in einem hohen dunklen Raum, der nach feuchtem Bettzeug roch und eine Glastür hatte, die auf den Park hinausging ..." Und zehn Minuten davon entfernt das Alte Schloß mit dem Torbogen, unter dem er sich abends von der Madonna verabschiedete - kissing the Madonna good-night under the arch of the school buildings - und wo heute die Tafel hängt:
IM ALTEN SCHLOSS ZU LAXENBURG BEFAND SICH IN DEN JAHREN 1925- 1928 DIE VON STUDENTEN UND PÄDAGOGEN AUS DER GANZEN WELT BESUCHTE SCHULE FÜR RHYTHMUS, MUSIK UND KÖRPERBILDUNG HELLERAU-LAXENBURG".
Hier also hatte es stattgefunden: "... das Tanzen und Singen und Musizieren und Duschen und Massieren und Beugen und Strecken den lieben langen Tag ..." und von hier "... stob manchmal eine Gruppe auf und davon in die Stadt for a concert or an Abknutschen ..."
Und inmitten von alledem war die Smeraldina-Rima everybody's darling, she was so young and had such a lovely face und belustigte die Mädels mit unanständigen Geschichten und immer neuen Einfällen ..."
Aber es blieben trotz allem Zweifel. War wirklich alles so gewesen, wie es in Dream stand, oder waren Personen, Orte und Begebenheiten eben doch nur ein Traum?
Alle Bedenken wurden ausgeräumt, als Rosalia Chladek, eine viel bewunderte Wiener Tänzerin jener Jahre, die zur künstlerischen Leitung von Hellerau-Laxenburg gehört hatte, bei einem Anruf spontan bestätigte, dass sie Peggy Sinclair als Schülerin gehabt habe und sie mir - nach 65 Jahren! - am Telefon mit folgenden Worten schilderte:
"Peggy Sinclair war groß, schön, langgliedrig, sehr eigenwillig, nicht gerade fleißig, aber sie nahm eine besondere Stellung ein". Hört man da nicht wieder Beckett in Dream:"She was everybody's darling, she was so young and had such a lovely face..."