Avec toutes les félicitations du jury

Am 12. Dezember verteidigte Solange Arber ihre Dissertation über « Elmar Tophoven et la traduction transparente » (Elmar Tophoven und das transparente Übersetzen) mit großem Erfolg. Pandemiebedingt fand die vierstündige Sitzung am Bildschirm statt, und sei es dank der akribischen Vorbereitung von Solange oder dem bereits vertrauten Umgang mit neuen digitalen Arbeitsweisen: alles lief auch technisch wie am Schnürchen. Die fünfzig Teilnehmer konnten am grundsätzlich öffentlichen Geschehen sicher und bequem teilnehmen. Wer weiß, ob in normalen Zeiten so viele Zuhörer zusammengekommen und Zeuge dieser ausgesprochen geglückten Verteidigung geworden wären ?

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Eine Dissertation fertig zu stellen, ist an sich schon ein Erfolg, den man sich in vielen Fällen schwer erkämpfen muss. Selbst bei bestem Willen können Doktormütter und -väter den Doktoranden den hohen Leistungsdruck nicht ersparen, der mit einer solchen Aufgabe zwangsläufig verbunden ist. Meist ist die Doktorarbeit für den Akademiker oder die Akademikerin auch die erste Bewährungsprobe des Freischreibens. Es ist Solange Arber so gut gelungen, dass die Jurymitglieder immer wieder betonten, wie spannend ihre über 500 Seiten lange Doktorarbeit sich lese und dass sie fast druckreif sei. Diese ungewöhnliche Wirkung erreicht man nicht von selbst.

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Besonders hervorgehoben wurde Solange Arbers Fähigkeit, sich klar auszudrücken, und damit ist sie bestimmt auch ein Vorzeigekind des französischen höheren Bildungswesens. Des weiteren schätzte man ihre Fähigkeit, auf Ratschläge und Hinweise einzugehen, ohne dabei ihre Eigenständigkeit aufzugeben. Dies zeigte sich besonders nach der ersten Etappe der Verteidigung (colloque privé), die im Juni dieses Jahres im Rahmen der Universität Lausanne stattfand. In der Tat wurde Solange nun am 12. Dezember in doppelter Hinsicht in den Doktorgrad erhoben, einmal in Lausanne und ein zweites Mal an der Sorbonne in Paris.

Die erste Stufe der Verteidigung, eine Vorbesprechung mit der Bezeichnung colloque privé, verlief auf eine kantonal spezifische Art weniger formell als an der Sorbonne. Insbesondere hatte die Jury dort Gelegenheit, sich offen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszusprechen und Vorschläge für mögliche Verbesserungen zu machen, die Solange Arber dann geflissentlich den ganzen Pandemie-Sommer hindurch einarbeitete. Die bereits hervorragende Dissertation wurde damit geradezu perfekt, so die Juroren, womit die Doktorandin bewies, dass sie wirklich ein großes Durchhaltevermögen hat. Die Zuschauer der zweiten Verteidigung konnten sich ebenfalls davon überzeugen, wie ruhig, klar und sachlich sie zu den vielen Fragen Stellung nahm, die von der Jury noch vorgebracht wurden. Bestechend war insbesondere ihre Fähigkeit, trotz verblüffender Detailkenntnisse niemals Wissen vorzutäuschen. Das hatte sie bei ihren überzeugten Examinatoren auch gar nicht nötig.

Leider werden Verteidigungen in Frankreich nicht aufgezeichnet. Die Stellungnahmen von Bernard Banoun und Irene Weber Henking sowie den Juroren Thomas Hunkeler, Isabelle Kalinowski und nicht zuletzt des Präsidenten dieser Jury, Jürgen Ritte, hätten eine dauerhafte Öffentlichkeit verdient. Angespornt von Solange Arbers Leistung, bewegte sich der Diskurs auf hohem Niveau. Die noch so gezielt formulierten Komplimente waren dabei die einzige Redundanz. Der ‘Rapport de thèse’ wird ihre jeweiligen Stellungnahmen eingehender reflektieren.

Für das Tophoven-Archiv ist der glückliche Ausgang dieser langjährigen Forschungsarbeit in jeder Hinsicht ein Meilenstein. Man bedenke, dass das Forschungsmaterial erst vor einem Jahr in Straelen komplett zugänglich gemacht werden konnte! Nun verfügt das Archiv zumindest in französischer Sprache über einen ersten soliden wissenschaftlichen Einstieg, wie er auch ausdrücklich von der Doktorandin gekennzeichnet wird. Solange Arber behandelt die grundlegende Frage, ob Übersetzern und Übersetzungen mit Recht ein Platz im Feld der Literaturwissenschaft gebührt. Sie steckt dabei auch den Forschungsbereich ab, der sich mit dem Nachlass von Übersetzern befasst: wie steht es um die Autorschaft, wie um den Handlungsspielraum des Übersetzers? Wo stoßen biographische Analysen an ihre Grenzen, und wo selbst die größtmögliche Durchschaubarkeit der Übersetzungsprozesse?

Mit besonderer Gründlichkeit und geradezu beispielhaft untersuchte Solange Arber die deutsche Übersetzung des Romans ‘Disent les imbéciles’ von Nathalie Sarraute und machte damit vielleicht den Weg frei für weitere Untersuchungen des umfangreichen Archivmaterials dieser Autorin. Auch wenn der Hauptakzent dieser Arbeit im biographischen, soziologischen und textgenetischen Bereich liegt und die sie sich weniger mit linguistischen Fragen befasst, so ist sie doch der Genese von Tophovens Übersetzungsverfahren präzise nachgegangen, denn es wird dabei offenbar, mit welcher Aufmerksamkeit Elmar Tophoven alle zeitgenössischen Publikationen zum Thema Übersetzen verfolgte und immer nach einer Interaktion mit der linguistischen Forschung suchte. Es wäre zu wünschen, dass die Fülle des erhaltenen Materials zu weiteren Schritten in diese Richtung anregt.

Gedanken zur Übersetzertätigkeit sind nicht neu, und Bemühungen um eine Übersetzungswissenschaft gibt es gerade in Deutschland schon seit Jahrzehnten. Auf internationaler Ebene geriet die Forschung wie so oft in angelsächsische Gewässer. Es ist daher nicht verwunderlich, dass eine Methode, die sich vor allem mit der französischen und deutschen Sprache beschäftigte, weniger Aufmerksamkeit fand. Es haftete dem Ganzen etwas Unfertiges an, wirkte eher wie ein 'work in progress', das durch den frühen Tod von Elmar Tophoven allzu schnell in Vergessenheit geriet.

Im vergangenen Jahr bemühte sich bereits Anthony Cordingley, Elmar Tophovens methodische Ansätze zu neuem Leben zu erwecken. Bei seinen Bemühungen, die Übersetzungsgenetik in die derzeit viel beachtete Textgenetik mit einzubeziehen, fand die Methode des transparenten Übersetzens neuen Auftrieb. Die Arbeit von Solange Arber erweist sich dabei als geradezu bahnbrechend, da sie weit über einen akademischen Kompetenzbeweis hinausgeht. Folgt man dem Urteil der Juroren, dann gelingt es der jungen Forscherin, anhand des wahrlich ergiebigen Forschungsmaterials einen wesentlichen Beitrag zu leisten, um die Übersetzungswissenschaft als Forschungsgebiet epistemologisch neu zu begründen.

Es ist kein Zufall, dass diese wegweisende Untersuchung im Zusammenwirken der Sorbonne und der Universität Lausanne entstand. Wie Irene Weber Henking betonte, besteht eine direkte Verbindung zwischen den Schweizer Forschungen im Bereich der Übersetzungswissenschaft (CTL) und der Fortentwicklung des Kollegiumgedankens, zu dem Elmar Tophoven den Anstoß gab. Was Frankreich betrifft, so ist es das Werk von Antoine Berman, das sich nachhaltig auswirkt. Ist andernorts in jüngster Zeit ein Werk erschienen, das für die Übersetzungswissenschaft so bedeutend ist wie sein 'Amyot' im Jahre 2012? Berman schließt mit dieser großartigen Untersuchung eine lange Liste von entscheidenden Forschungsergebnissen ab, die dank der jahrzehntelangen Arbeit seiner Witwe Isabelle Berman zugänglich bleiben.  Es ist ferner in glücklicher Umstand, dass Bernard Banoun, der Doktorvater von Solange Arber, zugleich der Herausgeber des letzten Bandes der französischen Geschichte der Übersetzung ist, die international ihresgleichen sucht. Es ist unverständlich und bedürfte einer Erklärung, warum Bermans Gesamtwerk im deutschen Sprachraum bis heute unbeachtet geblieben ist. Um so verdienstvoller ist es, dass ein Professor der Germanistik an der Sorbonne seinen Blick auf Übersetzungen aus dem Französischen ins Deutsche richtet und mit seiner Anregung eine brillante Forschungsarbeit initiiert hat, die neugierig macht auf weitere Analysen aus dem reichhaltigen Tophoven-Nachlass.

Wichtig ist auch zu erwähnen, dass Forscher wie Almuth Grésillon und Jean-Louis Lebrave bereits vor einigen Jahren Elmar Tophovens Übersetzung von Robbe-Grillets 'La Jalousie' in textgenetischer Hinsicht untersuchten und dass Irene Albers, FU Berlin, in Zusammenarbeit mit Wolfram Nitsch, Köln, im Rahmen eines Kolloquiums der Universität Paris VIII Elmar Tophovens Übersetzung von Claude Simon mit großem Einfühlungsvermögen unter die Lupe nahm. Auch andere wirken tatkräftig an der Wiederbelebung der Übersetzungswissenschaft mit, nicht zuletzt Nicole Thiers und die Zeitschrift TransLittérature. Im Schweizer Sprachraum sei zum Beispiel auch der besonders wertvolle Beitrag eines Jean-François Billeter zu nennen.

Es geht hier allerdings nicht um eine vergleichende Wertung zwischen der frankophonen und der deutsch-angelsächsischen Übersetzungswissenschaft. Übergreifend bringt die Textgenetik der Übersetzungswissenschaft heute neue Impulse. Solange Arbers Dissertation nimmt den Stand der Forschung auf und liefert ihr mit ihrer Untersuchung zweifellos neue Maßstäbe. Es ist zu hoffen, dass ihre Arbeit  - nicht nur im frankophonen Kulturraum- zu weiteren wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Thema des Übersetzens anregt.