Die Deutsche Buchhandlung von Paris, nun in der rue Du Sommerard

Pünktlich zum 1. Februar hat die Deutsche Buchhandlung, Quartier Latin, Paris, wieder aufgemacht. Also genau sechs Monate nach der Schließung ihres ersten Standorts in der rue Frédéric Sauton, wo sie sich mit Verlusten  zwei Jahre halten konnte. Als das Abenteuer im Jahr 2015 anfing, hatte gerade die deutsche Buchandluing Marissal - nach über dreissigjährigem Bestehen - geschlossen. Marissal löste Anfang der Achzigerjahre sozusagen Martin Flinkers Buchhandlung am Quai des Orfèvres ab, die sich ebenfalls über 30 Jahre halten konnte. Wie es vorher war, weiss ich nicht. Während der Besatzung gab es eine große deutsche Buchhandlung an der Ecke des Boulevard St Michel und der Place de la Sorbonne, aber die wurde recht bald von der Résistance in die Luft gesprengt. Wo besorgten sich die Nazi-Sympathisanten in den Dreißigerjahren „Mein Kampf“ ? Wie erging es deutschen Buchhandlungen im Ersten Weltkrieg ? Haben sich einige Elsässer, die nach dem Französisch-Preussischen Krieg von 1870 nach Paris emigrierten, als Buchhändler für deutschprachige Werke versucht ? Verfügte die sehr zahlreiche deutsche Emigrantengeneration des Vormärz nicht auch über ihre eigenen deutschsprachigen Buchhandlungen ? Damals lebten ja auch gut 50 000 Deutsche in Paris, ebensoviele wie heute. 

Fest steht, dass zumindest in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Buchhandlung Calligrammes am langlebigsten war, wenn auch mit zwei Umzügen infolge eines Generationswechsels. Aber nach etwa 50 Jahren musste auch Calligrammes 1999  leider aufgeben. Nicole Barys Roi des Aulnes, 1980 eröffnet, lebt wenigstens als Verein und Herausgeber weiter. Infobuch in der rue des Blancs-Manteaux hielt sich von 1994 bis 2008, Gisela Kaufmanns Misch-„Buchladen“ in Montmartre schon etwa 30 Jahre. Die Buchhandlung L’Alinéa, 2015 von Catherine Houssay und Abel Gerschenfeld in der rue de Charenton eröffnet, hat sich nicht lange halten können. Und so kam es, dass es 2017 etwa ein Semester lang im gesamten Ballungsraum Paris (8,5 Millionen Einwohner) keine einzige rein deutsche Buchhandlung mehr gab. Auch die Bestellungen über die Online-Buchhandlung Max und Moritz sind bis auf weiteres eingestellt. Auf Amazon gibt es eine Sparte für englischsprachige Bücher, aber nicht für deutschsprachige. Man kann das Suchwort „allemand“ eintippen, dann zwei Millionen anscheinend wahllos aneinander gereihte Kaufvorschläge herunterskrollen. Tippt man „Godot hinter Gittern“, erscheinen prompt ein Angebot für ein gebundenes Neuexemplar für 19,78 Euro, 10 gebrauchte Ausgaben zu 14,56 und das Kindleformat für 13,99 Euro. In der Deutschen Buchhandlung der rue Frédéric Sauton lag ein Stapel von Exemplaren aus, als Iris Mönch-Hahn meine Mutter dort vor zwei Jahren für eine Lesung einlud. Der Raum war damals schon für solche Veranstaltungen klein, zudem ist man es hier nicht gewohnt, dafür Eintritt zu zahlen. Das Thema, das Netzwerk… wie auch immer, jedenfalls musste die Familie Tophoven einige leere Stühle füllen, und der Stapel Erstausgaben wurde etwas später unsigniert an den Verbrecherverlag nach Berlin zurückgeschickt. Kein besonderer Ansporn, weiter an einer französischen Fassung zu arbeiten, die allerdings schon in der Übersetzung vorliegt und durch einige spannende Informationen ergänzt werden könnte, die sich besonders auf die französischen Verhältnisse beziehen.

Wenn stattdessen Peter Wohlleben gelesen hätte, wäre es anders gewesen. Als ich mich im Herbst 2016 auf eine Reiseführung in den Schwarzwald vorbereitete, und in den Regalen der Deutschen Buchhandlung nichts Passendes fand, bin ich damals Iris Mönch-Hahns Tipp gefolgt und habe mir den Wohlleben besorgt, der ja in Deutschland ein Kassenschlager war. Auf der Suche nach Einzelheiten stiess ich im Netz auf das Ranking, Wohlleben konkurrierte dort mit Biermann, aber Biermanns Autobiographie besorgte ich mir dann in der Bahnholfsbuchhandlung in Köln, um mir eine Heimfahrt nach Paris zu verkürzen. Zu Biermann ein andermal.

Während der Führung im Schwarzwald erzählte ich den französischen Tannenverarbeitern von Wohllebens Buch und warnte sie, dass damit einiges auf sie zukommen würde. Und so geschah es dann auch. Pariser Busse mit Werbung für die französische Fassung, Sendungen, Polemik… Die Auseinandersetzung mit dem nun auch in Frankreich zum Bestseller gewordenen Buch hält gerade auch in Fachkreisen an. Aber davon profitiert Iris Mönch-Hahns Buchhandlung nicht. Vielleicht möchte der eine oder andere Franzose Giulia Enders „Darm mit Charme“ „dans le texte“ lesen. Mehr kommt zur Zeit aus dem deutschsprachigen Raum nicht rüber.

Im vergangenen Sommer habe ich die Zeit genutzt, als meine Familie in China war, um unseren kleinen Keller in der rue St Jacques auszumisten. Da häuften sich seit 15 Jahren die verstaubten Bücher der deutschen Pariser Bibliothek meiner Eltern und versperrten fast den Zugang. Seitdem ich vor nunmehr 18 Jahren hier eingezogen bin, haben meine Bücherkäufe nach und nach die Familienbibliothek aus den Regalen des Wohnzimmers verdrängt. Es tat mir leid, aber an die tausend Bücher, davon die Hälfte in deutsch, sollten nun entsorgt werden. Als ich Iris Mönch-Hahn einmal fragte,  ob sie nicht auch ein Antiquariat anbieten wollte, verwies sie auf den mangelnden Platz in der rue Frédéric Sauton, nannte mir jedoch einen spezialisierten Bouquinisten ganz in der Nähe am Quai. Also suchte ich diesen Bouquinisten auf, der gerade noch etwa einen Meter für deutsche Bücher reservierte, dort Neuerscheinungen aus der Auflösung der deutschen Buchhandlung verramschte und überhaupt kaum noch Kunden für deutschsprachige Bücher fand.

Jetzt, wo die Deutsche Buchhandlung gleich um die Ecke bei mir liegt, wird es mit der Bücherschieberei in der Wohnung wohl erst recht weitergehen. Ich habe mir vorgenommen, hinfort über die rue Du Sommerard zur Place Maubert zu laufen, und nicht über den Boulevard St Germain, der mittlerweile eine Art Stadtautobahn geworden ist. Gestern fing es gleich damit an, dass ich mir ein signiertes Buch besorgte, eine Neuerscheinung des auch von mir geschätzten Georg Stefan Troller.

Zu Troller fällt mir ein: vor ein paar Jahren, etwa 2014, machte ich zufällig Halt bei Marissal, und da kein anderer Kunde da war, kam ich mit der Buchhändlerin ins Gespräch - es muss wohl Petra Kringel gewesen sein. Die deutschen Buchhandlungen hätten es sehr schwer, hörte ich, und Marissal würde wahrscheinlich bald zumachen. Fast, um dem ein wenig entgegenzuwirken, fragte ich nach Werken von Troller und besorgte mir seine „Selbstbeschreibung“, die nun laut Iris Mönch-Hahn vergriffen ist, und die ich schon längst weiterverschenkt habe. In der Folge schrieb ich eine Reihe von Briefen an Troller, die ich aber nie ausgedruckt, geschweige denn abgeschickt habe, weil ich seine Adresse nicht hatte.

Jetzt weiss ich nicht mehr so recht. Ich erinnere mich an einen kurzen Besuch im Buchladen im November 2012, ich sprach die Buchhändlerin – bestimmt Gisela Kaufmann – an und erwähnte auch damals schon Troller, dessen literarische Wanderungen ich mit Freude gelesen hatte, aber die Buchhändlerin meinte, bei Trollers Ausführungen zum 18. Arrondissement sei einiges falsch.

Tja, etwa 2010 hat die Troller-Suche überhaupt erst angefangen. Damals sollte ich für Anne Glaser etwas über Georg und Annes Atelier schreiben, und Anne zeigte mir zwei Sendungen über ihren Mann. Eine stammte aus den Sechzigerjahren und war ein typisches Troller-Porträt für das Fernsehen. In der zweiten tauchte Troller als Zeitzeuge Glasers auf und das, was er über ihn sagte, prägte sich bei mir ein, der ich doch ein gespaltenes Verhältnis zu diesem „Vaterfreund“ der ersten Stunde habe.

Als ich im November 2012 im Buchladen von Montmartre war, kamen wir auch auf das Thema Calligrammes, und Gisela Kaufmann schickte Annette Antignac, der langjährigen Inhaberin und Freundin der Famnilie, in meinem Auftrag das im Buchladen vorliegende Exemplar von „Glückliche Jahre, Übersetzerleben in Paris, Gespräche mit Marion Gees“ per Post zu. Daraufhin kam der Kontakt mit Annette wieder zustande, die ich seit der Beerdigung meines Vaters in Straelen, 1989, nicht wiedergesehen hatte und eigentlich kaum kannte. Ich besuchte Annette und erwähnte dabei Troller, dessen Adresse sie zu haben glaubte. Aber der Kontakt brach wieder ab.

Auf der Suche nach meinen unauffindbaren Briefen an Troller stieß ich wieder auf meinen Text "l’Atelier", der mir besser gefällt als Anne. Aber "l’Atelier" gefiel Anne Glaser immer noch viel besser als mein langer Text "Canon", der im Anschluss an eine Lesung entstand, die ich im August 2014 in Mézidon-Canon machte. Ich las dort bei einer Veranstaltung Auszüge aus Georg Glasers Buch „Geheimnis und Gewalt“ in französischer Übersetzung vor, Passagen, die sich direkt auf den kleinen Ort bei Caen in der Normandie bezogen. Caen ist auch so ein Schlüsselwort, es verweist gleich auf Haus Caen bei Straelen, auf die IMEC, also das Literaturarchiv Marbach… Ich drifte ab.

Dass jetzt die einzige Pariser, ja französische deutsche Buchhandlung hier um die Ecke in der rue Du Sommerard einen zweiten Anlauf macht, gibt mir das Gefühl einer gewissen Verantwortung für diesen mutigen Schritt. Als ich Ende 2017 hörte, dass Iris Mönch-Hahn tatsächlich einen neuen Standort im Visier habe, mailte ich ihr gleich die skurrilsten Vorschläge. Ob diese Eintragung hier ihr auch nur einen einzigen Kunden mehr zuführen wird ? Unsere Homepage liegt im Netz fast ebenso abseits wie die kleine rue Du Sommerard in unserem Quartier. Eine Adresse für Kenner und Flaneure. Ein Geheimtipp. Allerdings könnte ich könnte stundenlang über diese schmalen Gassen reden, die ich aus verschiedenen Gründen seit vielen Jahren im Blick habe.

Als die Deutsche Buchhandlung noch in der rue Frédéric Sauton angesiedelt war, brachte ich es nicht über mich, dort meine vor Jahren geschriebene Arbeit über das jüdische Kind zu erwähnen, das vor der Endlösung im gleichen Häuserblock wohnte. Nun rückt die Buchhandlung ganz nahe an den Ausgangspunkt meiner langen Beschäftigung mit dem kleinen Jacques Brand heran, an die Eintragung seines Namens auf der Gedenktafel in der Eingangshalle des Kindergartens in der rue Du Sommerard Nr.10 und die Einschulung meiner Kinder im Herbst 2004. Zufällig hat meine Mutter eine 2015 gekürzte deutsche Fassung in den vergangenen Tagen noch einmal in die Hand genommen. Ich nehme es zum Anstoß, die deutschen und französischen Fassungen meines Manuskripts noch einmal abzugleichen.

Welch ein unsägliches Glück, in einem Areal zu wohnen, wo es eine englische, eine deutsche, eine russische, eine polnische, eine arabische, eine afrikanische und eine orientalische Buchhandlung gibt. In der russischen die CD von Vladimir Vissotsky. Bei Shakespeare and Company die Geschichten des Saxophonisten Tim Stanfield. Bei l’Harmattan die Suche nach Büchern von Marthe Dutreb. In der Afrikanischen Fragen zu Cheik Abou Diouf. Ich weiss, die portugiesische Buchhandlung in der rue du Sommerard hat schon vor Jahren zugemacht. Dafür besteht eine sehr Schöne etwas weiter südlich, an der Place de l’Estrapade, wo ich einmal meinen Freund Max filmte, als er seine Anthologie der Braslianischen Dichtung dort vorstellte. Die polnische Buchhandlung in der rue de la Bûcherie ist auch schon seit zehn Jahren verschwunden, dort konnte man auch riesige Bleistifte kaufen. In der polnischen Buchhandlung am Boulevard St Germain werden weiterhin Szopkas ausgestellt. Denn trotz aller Schwierigkeiten, trotz internet und smartphone und amazon kämpfen hier immer noch eine Vielzahl von thematisch unterschiedlichen Buchhandlungen weiter um Leser. Das der wirtschaftlich mächtige deutschsprachige Raum in diesem Umfeld sich so bescheiden hält, macht ihn sympathisch.