Eintragung (Jonas Tophoven)

Am 17. Mai 1931 wurde Erika Tophoven in Dessau geboren. Damals regierte dort ein Oberbürgermeister, Fritz Hesse, der das Bauhaus nach Dessau geholt hatte. Kürzlich las Erika wieder in seinen Memoiren, wie er, der von den Nazis abgesetzt worden war, gleich nach dem Ende des Krieges mit seiner Frau unter den abenteuerlichsten Bedingungen zu Fuss von Berlin nach Dessau lief, um dort sein früheres Amt wieder anzutreten. 

Die Generation 1931 hat die Wirren des Weltkriegs als Kind erlebt, und für viele war das zweite Jahr nach dem Börsenkrach in New York, ja der Monat des Krachs der Kreditanstalt am 11. Mai 1931, eine Zeit bitterer Entbehrungen. Darauf folgte die konsequent durchgesetzte Nazifizierung ebendieser Altersklasse.

Bei den Männern ist der Jahrgang 1931 trotz allem der Beginn der sogenannten Gnade für die späte Geburt. Alle Jahrgänge zwischen 1900 und 1931 mussten in den Krieg, die 1900 geborenen vielleicht noch in der Ersten, alle anderen in den Zweiten. Aber danach herrschte in Deutschland bis zum Ende des 20. Jahrhundert und sogar bis heute Frieden.

Bei den Frauen des Jahrgangs 1931 spielte die Gnade der späten Geburt eine Nebenrolle. Immerhin litten sie nicht wie die Frauen der Jahrgänge 1900 bis 1930 an der eignen Überzahl, die erstaunlicherweise dazu führte, dass sie sich der Männerwelt fügen mussten. Die Frauen von 1931 sind auch keine Trümmerfrauen. Dafür gehören sie auch nicht einer Generation an, die ohne weiteres studieren konnte. Oft gerieten sie an ältere Veteranen, die mit Frauenemanzipation nichts am Hut hatten. Die Frauen des Jahrgangs 1931 sahen, wie die nächste Generation in den Sechzigerjahren mühelos studieren konnte, sich emanzipierte und freier fühlte. Sie selbst mussten oft lange auf den Nachwuchs ihrer eignen Kinder warten, gaben ihnen dann aber einen vor-emanzipatorischen Schliff und gingen in ihrer Rolle als Großmutter auf.

Die Frauen des Jahrgangs 1931 haben insgesamt einen guten Geschichtsabschnitt erwischt. Erst war kaum was da, aber der Wohlstand vermehrte sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, eigentlich gab es keinen deutlichen Einbruch, obwohl seit 50 Jahren immer wieder von der Krise geredet wird. Man konnte reisen, ausreisen, sich bilden und oft wusste man am Ende nicht mehr so recht, wo man hingehört. Man durfte Autofahren und saß im Stau, man schaute fern, oder musste die Sendungen mitangucken, bis es einem übel wurde.

Wenn man Glück hatte, kam man unversehrt durch die Zeit. Und so wurde es möglich, dass Erika Tophoven, die seit über dreißig Jahren das Tophoven-Archiv ausbaut, nun wohlauf ihren 90. Geburtstag feiert.

Es hätte auch schief gehen können. Da war doch dieser kalte Krieg und die ständige Gefahr der Atombomben. Und dann die rasante Entwicklung eines naturfremden Lebens in den Städten, die Chemikalien, die man schluckte und die bei den gebährenden Müttern für Missbildungen sorgten. Die Erkrankungen und das Unglück haben nicht nachgelassen, ein langes Leben bleibt eine schwer zu stemmende Aufgabe. Im Fall von Erika Tophoven ist Samuel Beckett ihr dabei bis heute eine große Stütze gewesen.

Fast hätte ich vergessen, zu erwähnen, dass die Frauen des Jahrgangs 1931 vom 20. bis zum 60. Jahr Zeugen der literarischen Entwicklung Samuel Becketts sein durften. Das war natürlich nicht allen bewusst. Im Falle von Erika Tophoven gab es sogar Begegnungen, ein langjährige Zusammenarbeit und nach Becketts Tod eine Jahrzehntelange Forschung um das Werk des irischen Autors, die sich bis heute fortsetzt.

Ihr Mann, Elmar Tophoven, war überzeugt, dass die Tätigkeit des Übersetzens für einen angenehmen Lebensabend sorgt. Wahrscheinlich hätte er sie gerne noch lange praktiziert, wenn ihm ein Lebensabend beschert gewesen wäre. Im Falle von Erika Tophoven ist es die Auseinandersetzung mit dem Werk von Samuel Beckett, die immer wieder anregend wirkte. Samuel Beckett als Elixir, das einen neunzigsten Geburtstag überhaupt möglich gemacht hat.

Seit den Fünfzigerjahren arbeitete Erika Tophoven zusammen mit Ihrem Mann an den Übersetzungen der Werke von Samuel Beckett. Unter anderem half sie Elmar Tophoven, wenn es darum ging, Becketts englisch verfasste Texte zu übertragen. Darüber hinaus bildeten beide ein gut funktionierendes Übersetzungsteam. So kam es, dass Erika Tophoven mit der Übersetzung von Samuel Becketts letztem längeren Prosatext beauftragt wurde, Worstward Ho. Aus diesem Grunde verbrachte sie ein Vierteljahr in England und besuchte oft das noch in den Anfängen stehende Beckett-Estate in Reading. Dort zeigte der Beckett-Biograph James Knowlson ihr die Druckfahnen von Becketts frühem Roman Dream. Mit der Übersetzung ins Deutsche wurde sie trotz ihrer langjährigen Tätigkeit als Beckett-Übersetzerin nicht beauftragt. Aber als sie feststellte, dass ein großer Teil der Handlung in Deutschland und insbesondere in Österreich spielt, nutzte sie die erste Gelegenheit, um nach Wien zu reisen. Damit begann eine jahrzehntelange Beschäftigung mit der für sie ungeahnten deutschen Prägung des irischen Autors.

Diese deutsche Prägung war eher eine Einführung in die unerschöpfliche Gedankenwelt eines Menschen, den Erika Tophoven insbesondere auch als Mystiker versteht. Sie verfolgte zahlreiche Spuren vom Werk zu anderen Quellen und konnte damit auf eigene Faust Wissenslücken füllen, die die Zwänge der Nachkriegszeit bei ihr offengelassen hatten. Jahrzehntelang vermochte sie, das von ihr geordnete Tophoven-Archiv über die übersetzungstechnischen Befunde hinaus zu ergänzen. Somit bündelt sie in ihrem hohen Alter die jahrzehntelangen Erfahrungen einer Literaturübersetzerin mit dem umfangreichen Wissen um Becketts Welten. Und setzt diese doppelte Erfahrung auch heute noch in den verschiedensten Forschungsprojekten um.