He Joe (9/11/17)

Nun ist es bald soweit: Wie schon im Mai angekündigt, zeigt die Berliner Volksbühne zur Wiedereröffnung  ab 18.November drei Einakter von Samuel Beckett: Nicht ich / Tritte / He, Joe, inszeniert von Walter Asmus, dem langjährigen künstlerischen Mitarbeiter von Samuel Beckett. Für die weibliche Rolle in allen drei Stücken konnte die grandiose Schauspielerin Anne Tismer gewonnen werden.

Walter Asmus wird das Fernsehstück Eh Joe an den Anfang stellen, und er bringt es auf die Bühne. Ein spannender Auftakt. Es war Becketts erstes Fernsehstück, und er führte selbst Regie. Beim Blick ins Archiv entdecke ich viel interessantes Material, das mich zurückversetzt in das Jahr 1965, als Beckett uns das englisch geschriebene Manuskript zuschickte, 5 handgetippte Blätter. Schnell zu schaffen, sollte man meinen. Aber ich sehe an den zahlreichen Korrekturen, dass die deutsche Fassung nur langsam Form annahm. Am 5.Juli eine Ansichtskarte von Beckett aus Courmayeur: "J'ai terminé Dis Joe première version". Nun hatten wir zwei Fassungen, aber maßgebend war immer das Original. Ein paar Beispiele in den drei Sprachen, um zu sehen, wie der Autor selbst die sprachlichen Hürden genommen hatte:

            - you know that penny farthing hell  you call your mind ...  

            - tu sais cet enfer de quatre sous que tu appelles ta tête ...

            - du kennst diese drei-Groschenhölle, die du deinen Verstand nennst ...

            - mental thuggie you called it ...

            - du serre-kiki mental comme tu disais ...

            - Mentalmord nanntest du es ...

            - Pitying love ... Non  to touch it ...

            - L'amour qu'on t'a donné ... Cousu de pitié ... Ce qu'on fait de plus solide ...

            - Mitleidende Liebe ... Der kommt nichts gleich ...

            - Powerful grasp of language you had ... Flint glass ...

            - Que ma diction te plaisait ... du cristal de roche ma voix ...

            - Wie du die Sprache im Griff hattest ... Eine Stimme wie Bergkristall ...

            - Look up, Joe, look up, we're watching you ...

            - Le ciel, Joe, le ciel, on t'a à l'oeil ...

            - Kopf hoch, Joe, zum Himmel, wir haben dich im Auge ...

            - 'On Mary's beads we plead her needs and in the Holy Mass' ...

            - Vierge-saints-priez-âme-repos ...

            - 'Maria tröste ihre Seele, die man ihr im Gebet empfehle'...

            - No more old lip from her ..

            - Plus de caquets à craindre de celle-là ...

            - Keine Albernheiten mehr von der ...

Zwei Bibelzitate fallen mir wieder bei der Durchsicht ins Auge:

            'Thou fool thy soul' ... ("Thou fool, this night thy soul shall be required of thee")

            'Insensé ton âme' ... ("Sot! ta vie, on va te la redemander cette nuit".)

            'Du Narr, deine Seele' ("Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern.")

                                   (Lukas 12, 20)

            'Mud thou art' ... (statt 'Dust you art' ...)

            'A nous, poudre ...' ("... jusqu'à ton retour au sol, puisque c'est de lui que tu as été pris,           car tu es poussière et tu retourneras en poussière"...)

            'Dreck bist du' (statt "Denn du bist Erde ...") 3.Mose, 19

Ob wir damals, vor nunmehr über 50 Jahren, den Hinweis auf Goethe erkannt haben?

            "Ah she knew you, heavenly powers!"

            "Ah elle vous connaissait puissances divines ..."

            "Ah, sie kannte euch, himmlische Mächte ..."

Auch die Regieanweisung macht es deutlich, dass der Autor hier Goethe im Sinn hatte:

(Joe, von hinten gesehen,  auf dem Bettrand sitzend) :

            Wer nie sein Brot mit Tränen aß,

            Wer nie die kummervollen Nächte

            Auf seinem Bette weinend saß,

            der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

            (Wilhelm Meisters Lehrjahre, 2.Buch, 13.Kapitel)

 

Über die Produktion beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart Ende März 1966 berichtet Peter Goßens sehr anschaulich, mit zahlreichen Probenaufnahmen, in SPUREN 50 (Deutsche Schillergesellschaft Marbach am Neckar, ISBN 3-933679-49-4). Die Schauspielerin Nancy Illig erläutert später in einem langen Brief, den sie uns schickte, gewisse Schwierigkeiten, die es bei der Aufnahme gab: "Es drehte sich vorwiegend um akustische Dinge, Zischlaute, Anhäufung von Konsonanten, die sehr unangenehm klingen, wenn das Ganze geflüstert wird."

Prof. Rolf Breuer, Paderborn, brachte zu diesem Zeitpunkt "Samuel Beckett - Eine Einführung" heraus mit vielen Szenenfotos des Fotografen Wilhelm Papst von den Dreharbeiten zu Eh Joe.

Am 13.April 1966 wurde der Film im Ersten Programm gesendet.

 Es war Becketts 60.Geburtstag. Er hatte mit der Niederschrift am 14.April 1965 begonnen, einen Tag nach seinem 59.Geburtstag. Was für ein Zufall, dass die erste Aufnahme von Jimmy Hendriks Folksong Hey Joe von April 1965 stammt. Allerdings taucht der Song schon Anfang der zwanziger Jahre bei Georges Gershwin in seiner einaktigen Jazz-Oper Blue Monday auf. Die Geschichte basiert auf dem typischen Blues-Konzept und handelt von einem eifersüchtigen Mann, der seine untreue Frau erschießt und dann in Mexiko untertauchen will. Interessant ist der Dialogstil bei Hendriks, während bei Beckett der "Angeklagte" die Antwort schuldig bleibt. 52 Fragen, notierte der Übersetzer auf der Textvorlage. Mord bei Hendriks, Mentalmord bei Beckett.

Eine andere Überlegung: Ließe sich EH JOE auch als e io = (das) bin ich/ich bin/I am lesen? Ein weiteres Beispiel für Becketts wiederholten Gebrauch des Buchstabens M : Murphy, Molloy, Mercier, Moran u.a. sowie  EM/AM - AMY/Y AM. Laut 'dictionnaire de culture biblique' ist JE SUIS eine Formel, die mehrere Male auf Jesu Lippen wiederkehrt, vor allem im Johannes Evangelium.

(Jetzt brauche ich eine Aspirin, wie Beckett sie allen, die zum Überinterpretieren neigen, empfahl.)