Heinz-Christoph Determann, Protagonist und Zeuge

Elmar Tophovens Briefe aus der Kriegszeit zeugen von seinen Versuchen, diese vergeudete Zeit zum Lernen von Sprachen zu nutzen. Nicht zuletzt dank seiner Kameraden, unter anderen Sven Effert, kommt es dazu, dass er aus Russland französische Briefe an seinen Vater schickt und nach Stücken von Molière fragt. In der einjährigen Gefangenenzeit wird es dann ein Gendarm sein, der ihm zu seinem Geburtstag ein paar Komödien schenkt. Die Übersetzung von „Le médecin malgré lui“ liegt im Familienarchiv vor, ebenso die Originale von zwei Revue-Vorstellungen, die Rakete und die Traumrakete. Dazu kommen die Exemplare des Stacheldraht Express, die Elmar Tophoven vom August 1945 bis Weihnachten beschäftigen. Der Zeichner des Stacheldraht Express, Ulf Kaiser, soll die Weihnachtsfeier im Camp mitgestaltet haben, und er nutzte dabei die Gelegenheit, um auszubrechen, so dass der Stacheldraht Express anscheinend im Jahr 1946 nicht mehr weitergeführt wird. Über das Weihnachtsfest 1945 war bisher kaum etwas bekannt. Das änderte sich im März 2021, als Thomas Determann in Straelen anrief.

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Bis jetzt sind wir noch gar nicht dazu gekommen, mehr über die Determanns zu Erfahren. Aurich ist Erika Tophoven als Ostfriesin sehr bekannt. Im Netz ist die Rede von einer Schrift von Heinz-Christoph Determann, „Erinnerungen des Zeitzeugen und Spielgefährten der Cohen-Kinder“, die im Zusammenhang mit der Verlegung von Stolpersteinen erwähnt wird. Sein Sohn, Thomas Determann, ist der Kassenwart des Imkervereins Aurich.

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Thomas Determann erklärte uns, dass sein Vater, damals 20 Jahre alt, die Hauptrolle des Weihnachtsstücks gespielt hat, und er sogar noch über eine Abschrift verfügt. In der Tat schickt er uns kurz darauf das 13-Seitige Typoskript, anscheinend ist bei Herausschmuggeln des Textes eine Seite verlorengegangen, die zwölfte.

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Da Thomas Determann uns dazu noch die Erinnerungen seines Vaters an die Zeit in den Gefangenenlagern nachgeliefert hat, wo Elmar an zwei Stellen erwähnt wird, aber vor allem einiges über das Leben im Lager ergänzend zum Verständnis des Kontextes um den Stacheldrahtexpress beiträgt, habe ich noch mal in unseren Akten gesucht, um mich zu vergewissern, dass Heinz-Christoph Determann nicht auch mal selber im Stacheldraht Express geschrieben hat. Dabei ist mir aufgefallen, dass eine im Stacheldraht-Express veröffentlichte Kritik der Vorführung vorliegt, wie meistens in der Blockschrift von Elmar Tophoven. Es mag sein, dass Elmar die Idee eines Weihnachtsstücks mit dem Titel lanciert hat, jedenfalls fordert er am ersten Advent seine Kameraden auf, bis zum 20. Dezember einen Text zu verfassen. Letztendlich wird sein eigenes Stück aufgeführt, die Regie hat Hans Leo Stolzhäuser, der im Stacheldraht Express immer wieder, auch als Goethe-Kenner, in Erscheinung tritt. Über Heinz-Christoph Determann schreibt Elmar: „Recht eindrucksvoll gleich die Eingangsszene, die in unserem jetzigen Alltagsleben spielt : ein Zwiegespräch am Zelteingang zwischen 2 PW’s, Franz (Daniels), der robusteren Natur, die ihren Kummer am Liebsten in Schnaps ersaufen möchte, und Hans (Determann), dem feiner fühlenden, der weiß, dass die Erinnerung das Einzige und Beste ist, was einem PW nicht genommen werden kann“.

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Still war die Nacht in der Tat: Elmar schreibt, bei der Aufführung sei es mucksmäuschenstill gewesen. Das passt auch zu Heinz-Christoph Determann in seinem Bericht Damals: „In einem selbst gebauten Zelt mit einer kleinen Bühne spielen wir es dann an den beiden Weihnachtstagen (im Express sind vier Aufführungen programmiert, Elmar spricht dans von drei Aufführungen und Heinz-Christoph Determann in seiner Erinnerung von zwei). Die Mitgefangenen waren mucksmäuschenstill und sehr bewegt“.  Vielleicht erklärt sich dieser Erfolg durch die Überlegungen, die Elmar Tophoven mit diesem Projekt verbunden hat, und die er à 4. Adventssonntag, 23. 12. 1945, im Stacheldraht Express veröffentlicht:

„Weihnachten Ja oder Nein 

Ob wir wollen oder nicht, die Weihnachtszeit rückt immer näher. Es sind nur noch Tage, die uns von dem festlichen Höhepunkt des Jahres trennen.

Die erste Friedensweihnacht nach vielen Jahren. Wir hatten sie uns anders vorgestellt. Wir dachten, wir könnten zuhaus sein, denn Weihnachten kann man eigentlich nur zuhaus feiern ! – Warum ? –

Ich glaube darum, weil man diese Feierlichen Tage in der Kindheit, also im Elternhaus, am Tiefsten erlebt hat, und weil sich die Weihnachtsbilder der Jugend am feinsten und geheimnisvollsten in unserem Erinnerungsvermögen abgezeichnet haben da, wo alles unvergessliche erhaben über allem unwesentlichen herausragt.

Jeder versucht darum in späteren Jahren die Weihnacht so zu feiern, dass das wirklich Festerlebnis sich möglichst nur zeitlich und nicht in der Art und Wirkung von dem Weihnachtserlebnis der Jugend unterscheidet. Man möchte unter seinen Geschwistern sein, oder man möchte wenigstens das erste Weihnachtsglück seiner Kinder miterleben.

Die letzten langen Jahre haben uns diesen Wunsch nicht erfüllt, sie fingen an und gingen dahin, ohne dass wir ihren festlichen Höhepunktim alten, trauten Familienkreis verbringen konnten. Jahr für Jahr trösteten wir uns mit einem Rotweinrausch, dann mit einer halben Flasche Kräuterbitter über die „Weihnachtsseelen-Krise“ hinweg, besser gesagt, wir täuschten uns darüber hinweg ! – Und wenn wir ganz ehrlich sind, wir hatten nicht mehr den Mut, Weihnachten auch in trostlosen Verhältnissen würdig zu feiern. Wie fürchteten uns vor dem „armen Dier“ und wenn der Alkohol uns am 1. Weihnachtstag über die Krisen hinweghalf, dann kam das „arme Dier“ eben am 2. Weihnachtstag in Gestalt eines „Katers“.

Aber warum seelische Ebbe? Könnte das Weihnachtsfest in der Kriegsgefangenschaft nicht auch zu einem Höhepunkt in unserer Stimmung werden?

Es ist doch das erste Weihnachtsfest, an dem wir nicht mehr sosehr um das Leben unserer Angehörigen bangen müssen wie während der letzten Jahre, als die Luftschutzsirenen die Weihnachtsglocken übertönten. Und wir können sicher hoffen, dass wir nun zum letzten Male allein unter dem Christbaum sitzen.

Darum sollten wir die Weihnachtsstimmung i n unseren Stuben durch nichts verwischen oder trüben und wir sollten ruhig und männlich die Stunden erwarten, in denen es uns schwer ums Herz wird, um im Kreise der Kameraden an diejenigen zu denken, die an demselben Tage, vielleicht in derselben Stunden mit leichter Hoffnung und Sehnsucht an uns denken:

An die lieben zuhaus.-

-top-„

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Im Stacheldrahtexpress folgt dann die Ankündigung der Weihnachtsveranstaltungen: am 23. ein evangelischer Gottesdienst um 20 Uhr (auch am 25. Um 19h im Kirchenzelt, gleichzeitig ein mundharmonisches Orchester an der Lagertanne; am 24. Um 19 Uhr, katholischer Gottesdienst um 19h30, Krippenbesuch von 19 bis 22 Uhr, vorher Beichtgelegenheit im Kirchenzelt. Die Lagerbühne bringt das Weihnachtsspiel für Kriegsgefangene „Stille Nacht!“ vom Lagerangehörigen E. Tophoven zur Aufführung. Mitwirkende: eine Spielgemeinschaft, der Lagerchor, das Mundharmonische Orchester, Bläser, Sologeige, Laute und Harmonium. 1. Vorstellung: Dienstag, 25. Dezember um 17 Uhr im Theaterzelt für B,J und ½ C-Kompagnie ; 2. Vorstellung: Dienstag, 25. Dezember um 20h30 im Theaterzelt für H, A und ½ C Kompagnie; 3. Vorstellung : Mittwoch, den 26. Dezember um 21 Uhr im Theaterzelt für G, E und ½ F-Kompanie ; 4. Vorstellung : Donnerstag, 27. Dezember 20 Uhr im Theaterzelt für 12F, D und K-Kompanie.

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Elmars Kritik der Aufführungen beginnt mit der Ansicht : „Um es gleich vorwegzunehmen; es ist schade, dass nicht bereits am Heiligabend gespielt wurde. Das wäre für viele Kameraden eine stimmungsvolle, schöne Einleitung des ersten und hoffentlich einzigen Christabends in der Kriegsgefangenschaft gewesen“.  Mag also sein, dass die Programmierung des 24. Dezembers das „arme Dier“ nicht ganz abwenden konnte.

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