Sankt Martin im Gefangenenlager

Im Kriegsgefangenlager PW-Camp Pittsburgh von Mourmelon-le-Grand, Frankreich,  redigiert Elmar Tophoven verzögert zum 9.11. 1945 die Nummer 71 der Lagerzeitung Stacheldraht Express. Im Hauptartikel erinnert er sich an das Martinsfest, wie es in seiner Kindheit in Straelen gefeiert wurde. Diese Schilderung bewog das Stadtarchiv Straelen, Kontakt mit der Lokalpresse aufzunehmen, um ihr für das in diesem Jahr ausbleibende Martinsfest Ersatz zu bieten. Die Rheinische Post entsandte daraufhin die junge Straelener Joeunalistin Paula Küppers, dessen Beitrag im Ortsteil der RP pünktlich zum 10. November erschien. Paula Küppers nahm auf Elmars Bericht Bezug, aber erwähnte auch Erikas Erinnerungen und Überlieferungen aus Ostfriesland. Auch früher kam es mal vor, dass das fröhliche Fest, vornehmlich wegen Verdunkelung oder Hungersnot, ausfallen musste, hebt Paula Küppers hervor. So schlimm ist man im Jahre 2020 nicht dran, und vielleicht brachte der Heilige heute sogar für alle einen Impfstoff, zumindest die Hoffnung darauf mit. 

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Hier der Wortlaut von Elmar Tophovens Beitrag im Stacheldraht Express :  

"In unserem grauen Alltag leuchten ab und zu Erinnerungsfunken auf ; Funken des Gückes und der Freude von Festen, die ihre Leuchtkraft bis zum heutigen Tag nicht verloren haben. Am klarsten und hellsten aber erscheinen uns die Bilder der winterlichen Feiertage aus der Kinderzeit. Wie einfach waren diese Feiern und doch so eindrucksvoll !

Seit Jahrhunderten gedenkt man am 11. November des Heiligen Martin, eines grossherzigen römischen Hauptmannes, der einst an einem kalten Wintertage mit seinem Schwerte den Mantel teilte und die eine Hälfte dem frierenden Bettler gab. Von uns Jungen wurde der Martinstag mit grosser Vorfreude und mit steigendem Bastelfieber erwartet. Tage vorher schon suchten wir Runkelrüben, schnitzten Augen, Nase und Mund ein und höhlten sie so tief aus bis das Licht der Kerze die gelbe Fruchtschale durchdringen konnte. Wir bauten kleine Häuschen, Mühlen, Kirchen und beklebten die Fenster mit Buntpapier. Und wenn am späten Nachmittag die versinkende Sonne die Schäfchenwolken rotglühend malte, dann erzählten uns die Eltern zum Himmel deutend : « Seht, die Engelchen backen schon! St Martin kommt bald!

Am Vorabend des Martinstages nahmen wir die Fackel in die Hand und trugen sie zum Schulhof, wo die ganze Dorfjugend sich sammelte. Wir waren stolz auf unsere bunten Lampen, wir zündeten sie an und einer bewunderte die Bastelei des Anderen. Dann war plötzlich St. Martin da. Mit dem Bischoftsstab, mit hoher Mitra und wallendem weissen Bart ritt der heilige Mann auf einem Grauschimmel. Die jüngsten wussten, das er aus dem Himmel käme und die älteren flüsterten sich zu, das Martinspferd wäre kein Anderer als der alte Schimmel vom Kohlefranz. Keiner wusste es recht. Dann schob sich der Fackelzug langsam in den Ort und von den vielen Kinderlippen klangen die lieben St.Martinslieder kreuz und quer durch die Strassen und über die Ringwälle bewegte sich das singende, farbige Band. Die Fensterbänke der Häuser waren mit vielen roten, grünen und blauen Wachslämpchen geschmückt und auf den Bürgersteigen standen die Eltern und schauten in das bunte Wimmeln der schwankenden Lampions. Auf dem Marktplatz hielt St. Matin seinen Grauschimmel an und redete den guten und bösen Kindern ins Gewissen und ermahnte alle zu Gehorsam und Fleiss. Ein prächtiges Feuerwerk mit Goldregen und Knallraketen wurde abgebrannt bevor der heilige Martin seine Gaben austeilte und wieder zum Himmel ritt.

Mit einer Tüte im Arm und der erloschenen Fackel in der Hand zogen wir … nicht etwa gleich nach Haus… Am Martinsabend wurden « Pöfferkes geklaut ». An diesem Tage war das « Klauen » von « Pöfferkes » erlaubt. In den Hausfluren, in Kellereingängen, auf Mauern, in Gartenlauben und wo man sonst noch Schüsseln vermuten konnte, da hatten die Mütter und die älteren Geschwister in fett gebackene süsse Krabben versteckt. Und so suchten wir also – heimlich und mit viel Halloh – von Haus zu Haus – bis wir und endlich « übersättigt » ins Bett legten, um an den Fingern auszurechnen, wie lange es dauern würde, bis der nächste mildtätige Heilige zur Erde kommen würde, um uns Kinder zu beschenken".

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