Toledo

Die Ankündigung eines neuen Traums von Toledo, mit dem am 2.Februar im LCB am Wannsee ein neues Förderungsprogramm für Übersetzer startet, hat mich veranlasst, wieder einen Blick in unser Archiv zu werfen. 1973 fuhr Elmar Tophoven auf Einladung eines Freundes, der einen Verwandten in Toledo besuchen wollte, zum ersten Mal in die Stadt  am Tejo, wo es 800 Jahre früher eine berühmte Übersetzerschule gegeben haben sollte. Ich finde in unseren Unterlagen den Abdruck eines französischen Textes, den ein Paul Werrie (  ) meinem Mann Anfang der Siebzigerjahre geschickt haben muss. Dazu vier große Karteikarten mit handschriftlichen Auszügen von Elmar, Toledo I-IV. Der Text von Werrie erschien in deutscher Übersetzung im Übersetzer (herausgegeben vom Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V. und der Sparte Übersetzer der Berufsgruppe VS in der IG Druck und Papier, 11. Jahrgang Nr. 2 u. 3 im Februar und März 1974 (Übersetzer : Günther Vulpius).

Ich finde weiter zwei Briefe von einem Dr. Justo Molina (24.12.73 u. 27.1.74), in denen er  Personen und Werke anführt,, die sich mit dem Thema TOLEDO befassen. Die Bekanntschaft mit Dr. Molina geht zurück auf die Tagung der Esslinger Gespräche im Herbst 1973, bei der mein Mann den Kollegen zum ersten Mal von der berühmten Übersetzerschule berichtete. Sie sollte fortan für ihn ein Vorbild für das geplante erste Europäische Übersetzerkollegium am Niederrhein sein. Noch steht auf einem Aktendeckel "Neue Schule von Toledo in Wachtendonk", einem Nachbarort von Straelen, wo die Familie Tophoven ein kleines baufälliges Anwesen besaß, aus dem gerade auch der letzte Mieter ausgezogen war. Der Straelener Architekt Hubert van Ooyen machte erste Entwürfe, und wir begannen Pläne für ein konstruktives Arbeiten mit mehreren Übersetzern unter einem Dach zu entwerfen.  1973/74 war mal wieder eine Krisenzeit, und viele Übersetzer fürchteten, dass der Computer und das automatischen Übersetzen den Humanübersetzer bald überflüssig machen würde.

Der Wachtendonker Traum war bald ausgeträumt, denn der kleinen Stadt fehlten die nötigen Mittel, vielleicht auch das Vertrauen in diese traumtänzerischen Ideen. Da meldete sich die Stadt Straelen , die gerade einen Preis für die Neugestaltung ihres Stadtkerns bekommen hatte und nach einem attraktiven Projekt für die Belebung des Stadtkerns suchte. Im Laufe der Planungen verschob sich der vorgesehene Ort vom Marktplatz in die Kuhstraße, wo schließlich fünf alte Häuser geschickt durchbaut wurden, darunter zufälligerweise das Haus, in dem Elmars Vater seine Arztpraxis hatte und er am 23.März 1923 geboren wurde. 1929 bauten die Eltern das  Haus am Südwall, in dem unter anderen auch die Spuren von Toledo erhalten bleiben sollen.

Bevor der Traum der siebziger Jahre zur Realität wurde, musste viel, sehr viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Wir lebten damals noch in Paris, und es war ein Glücksfall, dass Baron Marschall von Bieberstein, der damals das Goethe-Institut leitete und selbst Übersetzer war, die Idee aufgriff  und 1977 ein dreitägiges Kolloquium unter dem Thema "Übersetzen heute" (Wege zu europäischen Übersetzerkollegien) veranstaltete. Tophoven nutzte die Gelegenheit, am Beispiel der "Schule von Toledo"  über die Zweckmäßigkeit von Übersetzer-Kollegien zu referieren und empfahl auch, die bemerkenswerten, aufschlussreichen persönlichen Arbeitserfahrungen dort zu sammeln, auszuwerten und den interessierten Hochschulfachbereichen, vor allem aber den  praktizierenden Übersetzern zugänglich zu machen. Deutsche und französische Kollegen sowie Lektoren des Goethe-Instituts und des DAAD erprobten bei Gemeinschaftsprojekten  "transparente" Übersetzungsverfahren.

Elmar Tophoven trug die von Toledo ausgegangene Idee in die Welt, nach Spanien, nach Italien und 1984 sogar über den Atlantik. Anlässlich eines Paul Celan Symposiums an der University of Washington heißt es in der Ankündigung:"You are cordially invited to a lecture by Professor Elmar Tophoven (er war nie Professor!) "Von Toledo bis Straelen".

Im Januar 1978, vor genau 40 Jahren,  war es dann  soweit: Im Straelener Rathaus konnte die Gründung des ersten Europäischen Übersetzer-Kollegs gefeiert werden. Nach einigen Probejahren in einem provisorischen Bau erfolgte am 23.4.1985 der Umzug in seine jetzige Bleibe in der Kuhstraße. Dort träumen manche längst andere Träume. Ich bewahre die Erinnerung an Toledo II am Südwall.