Antoine Berman, 30. Todestag

Antoine Berman ist, für die Übersetzungswissenschaft im weiten Sinn, so etwas wie Marshall McLuhan im Bereich der Kommunikationstheorie. Beide stehen am Anfang, beide entwickeln Begriffe und setzen den Grundstein für eine Wissenschaft, die dann sehr schnell ihre Begriffe beiseiteschiebt. Bei Antoine Berman umso mehr, als es ihn in deutscher Sprache kaum zu lesen gibt. Für die Deutschen hat Antoine Berman mit seiner Dissertation „L’épreuve de l’étranger“ Eulen nach Athen getragen, und alles, was darauffolgte und über Jahrzehnte intensiver Beschäftigung von seiner Witwe Isabelle Berman herausgegeben wurde, ist aufgrund dieses ersten Urteils gar nicht erst wahrgenommen worden. Was hat man davon, wenn Antoine Berman John Donne kommentiert? Wie kann ein Franzose uns Benjamin näherbringen? Was haben wir von seiner Aufschlüsselung der Rolle des Renaissance-Dichters Jacques Amyot? Auch die prägende angelsächsische Forschung, mag auf Bermans Themen so reagieren. Umgekehrt wirkt Bermans Denken insbesondere bei denen, die gegenüber der angelsächsischen Forschung auf Distanz gehen, etwa im Québec, in Brasilien, im Iran…

Man könnte eine lange Liste der Begriffe aufstellen, die Antoine Berman im Laufe seiner Überlegungen zur Übersetzungswissenschaft schuf. Zum Beispiel der Begriff der copia, der im Werk zu Amyot stark reflektiert wird. Copia oder Überfluss. Kurz vor seinem Tode 1991 veröffentlichte er einen kurzen Beitrag in der fünften Jahresausgabe der Zeitschrift Palimpsestes, der den Begriff der copia untermauerte. Es geht dabei um den Kunstgriff der Akzentuierung, und dabei tauchen andere Begriffe auf wie die Zielsetzung der Übersetzung (visée traductive) auf.  

Übersetzung und Überfluss, was für ein dankbares Thema! Der Überfluss im Wesen des Übersetzers münzt die Defizite der Übersetzung in Gewinne um. Allerdings meint Antoine Berman in seinem 2015 erschienenen „Amyot“, dass diese copia heute fast nicht mehr vorhanden ist. Jacques Amyot besaß sie und die copia rechtfertigt auch den französischen, also den nicht-romantischen Weg der Übersetzung. Ohne copia verliert der von Amyot entworfene französische Weg seinen Sinn.

Antoine Bermans Gedankengänge bauen auf die rhetorischen Mittel der französischen Humanwissenschaften und arbeiten mit Polarisierungen, Abstraktionen, Rhythmuswechsel. Es ist leicht, Antoine Berman schlecht (ins Deutsche) zu übersetzen und dann das Gefühl zu vermitteln, dass er schwafelt. Da Übersetzer einem Diskurs über die Übersetzung oft kritisch gegenüberstehen, kann dieser Eindruck auch von ihnen leicht weitervermittelt werden. Im Falle der Epreuve de l’étranger, das in Frankreich als Klassiker der Übersetzungstheorie weiterhin auch als Taschenbuch verfügbar ist, musste Antoine Berman auf seinem Totenbett erfahren, dass Suhrkamp eine Übersetzung und Veröffentlichung ablehnte. Elmar Tophoven, der das Werk im Rahmen eines seiner Straelener Seminare mit anderen Übersetzern durchgearbeitet hatte, war damals schon zwei Jahre tot. Das Manuskript und das Material dieses Seminars aus dem Jahr 1987 gehört zum Privatarchiv Tophoven.

Das erste Kapitel des Werks wurde nach der Dissertation hinzugefügt und hebt sich wie eine Art von Manifest der Übersetzungswissenschaft ab. Antoine Berman betiteln es mit „La traduction au manifeste“, der Begriff „manifeste“ wie Manifest ist sichtbar, wenn auch die Formel schwer zu begreifen ist. Dieser Text ist nun 40 Jahre alt. Antoine Berman sehnt sich nach einer Wissenschaft, die aus der Übersetzung selbst entspringt und das Übersetzen nicht wie bisher aus der Perspektive anderer Wissenschaften beleuchtet.

Ich habe versucht, dieses erste Kapitel zu übersetzen, ohne die Übersetzung meines Vaters heranzuziehen. Mein Ansatz war, über die formellen Eigenschaften des französischen Denkens der Humanwissenschaften den Kern seiner Gedanken so wiederzugeben, dass er für deutsche Leser verständlich wird und aktuell bleibt. Später habe ich angefangen, beide Übersetzungen zu vergleichen. Die Übersetzung meines Vaters ist auch deshalb schlüssig, weil sie im Rahmen des Seminars durchgearbeitet wurde und wahrscheinlich auch die kritischen Eingriffe von Antoine Berman widerspiegelt, der damals nach Straelen kam.

Der Vergleich meiner Fassung mit der meines Vaters mündete Satz für Satz zu neuen Formulierungen, die ich aber aus verschiedenen Gründen nicht weitergeführt habe. Hauptgrund war mein Versagen, aufgrund des Doppeljubiläums eine Veröffentlichung der Übersetzung dieses Manifests im deutschprachigen Raum durchzusetzen. Nachträglich reihen sich meine Überlegungen gut in das Werk „Penser la traduction“ ein, dass kürzlich in Frankreich zum Thema des Übersetzens erschien, zumal es dort insbesondere um die Übersetzung von Humanwissenschaften geht.

E für Elmar, J für Jonas    

Der Prüfgang des Fremden (J)/ Die Erfahrung des Fremden (E)

Kultur und Übersetzung in der deutschen Romantik

Übersetzen: ein Manifest (J)/Die Übersetzung in aller Offenheit (E)

Beim Thema Übersetzen stößt man seit eh und je auf einen erstaunlichen Widerspruch (J)/ Das Übersetzungswesen ist seit jeher das Feld einer merkwürdigen Widersprüchlichkeit. (E)

E : übersetzungswesen, Widersprüchlichkeit, Feld/merkwürdigen

Geht es um das Übersetzen, so stößt man seit jeher auf einen merkwürdigen Widerspruch.

Seit jeher werden die Gedanken zur Übersetzung durch einen merkwürdigen Widerspruch geprägt.

Wenn man über das Übersetzen nachdenkt, dann werden diese Gedanken seit jeher durch einen merkwürdigen Widerspruch geprägt.

Die Gedanken zur Übersetzung werden seit jeher durch einen merkwürdigen Widerspruch geprägt.

Es folgt aus praktischen Gründen hier meine Übersetzung:

Einerseits sei es eine rein intuitive, halb technische und halb literarische Tätigkeit, die eigentlich weder eine Theorie noch spezifische Überlegungen verdient. Andererseits häufen sich diesbezüglich und spätestens seit Cicero, Horaz und dem Heiligen Hieronymus jede Menge von Abhandlungen, ob religiöser, philosophischer, literarischer, methodologischer oder neuerdings auch wissenschaftlicher Natur.

Obgleich zahlreiche Übersetzer über ihre Tätigkeit berichten, wurde die Überzahl dieser Beiträge offensichtlich von Nicht-übersetzern erzeugt. Die Bestimmung der « Probleme » des Übersetzens oblag Theologen, Philosophen, Linguisten oder Kritikern, und das hatte gleich mehrere Folgen: weil sie sich nicht aus sich selbst heraus bestimmen konnte, blieb die Tätigkeit des Übersetzens weiterhin untergründig und verborgen ; sie wurde nicht als das, was sie war, zum Gegenstand erhoben, vielmehr sahen diejenigen, die sich mit ihr befassten, in ihr etwas ganz anderes, sei es eine minderwertige Form von Literatur oder Kritik, oder auch eine angewandte Form von Linguistik. Schließlich zeichnen sich die fast immer von Nicht-Übersetzern durchgeführten Analysen bei all ihren Verdiensten zwangsläufig durch eine ganze Reihe von « toten Winkeln » oder nicht weiterbringenden Ansichten aus.

Aus dieser verfahrenen Situation hat sich das zwanzigste Jahrhundert nach und nach herausgewunden. Immer häufiger waren es Übersetzer, die Texte über das Übersetzen verfassten. Das Nachdenken über das Übersetzen schien nun sogar einer inneren Notwendigkeit der Übersetzungstätigkeit zu entspringen, wie das zum Teil schon während der deutschen Klassik und Romantik der Fall gewesen war. Valéry Larbauds Sous l’invocation de Saint Jérôme zeigt, dass die Überlegungen zum Übersetzen nicht zwangsläufig die Form einer Theorie annehmen. Stets bezeugen sie aber den Antrieb, das Übersetzen als eine unabhängige Tätigkeit zu etablieren, die imstande ist, sich eigenständig zu definieren und einzuordnen, und somit auch Vermittlung, Austausch und Lehre von sich selbst aus gestaltet.

Übersetzungsgeschichte

Die erste Aufgabe einer modernen Übersetzungstheorie besteht in der Aufarbeitung einer Geschichte der Übersetzung. Bei einem modernen Ansatz bleibt man nicht in der Vergangenheit haften; man schaut lediglich zurück, um sich besser zu fassen. So der Dichter, Kritiker und Übersetzer Pound, der sich zeitgleich mit der Geschichte der Dichtung, der Kritik und der Übersetzung beschäftigt hat. In eben diesem Sinne werden die großen Neu-Übersetzungen unseres Jahrhunderts (Dante, die Bibel, Shakespeare, die Griechen, etc.) zwangsläufig von Überlegungen zu den früheren Übersetzungen begleitet. Diese reflexiven Untersuchungen sollten zahlreicher und noch tiefgründiger werden. Unzureichend erscheinen uns die Zeitalter, in die Georges Steiner in After Babel die Übersetzungsgeschichte des Abendlandes einzuteilen versucht: Epochen der Übersetzung lassen sich kaum von denen der Entwicklung der Sprachen, der Kulturen und der Literaturen, ja sogar der Religionen und Nationen trennen. Ohne alles miteinander vermischen zu wollen, soll vielmehr aufgezeigt werden, wie die Tätigkeit des Übersetzens in jeder Epoche oder in jedem entsprechenden historischen Kontext sich zur Literatur, zu den Sprachen und zu den verschiedensten Arten des interkulturellen und interlinguistischen Austauschs verhält. Nehmen wir ein Beispiel: Léonard Forster hat aufgezeigt, wie mehrsprachig die europäischen Dichter gegen Ende des Mittelalters und während der Renaissance oft dachten. Sie schrieben in mehreren Sprachen, und zwar für ein Publikum, das seinerseits ebenfalls mehrsprachig war. Ebenso geläufig war es, dass diese Dichter sich selbst übersetzten. So der holländische Dichter Hooft, der nach dem Tod seiner geliebten Frau rührenderweise eine ganze Reihe von Grabsprüchen entwarf, zunächst auf Holländisch, dann auf Latein, dann auf Französisch, dann erneut auf Latein, auf Italienisch und dann – etwas später – erneut auf Holländisch. Ganz so, als habe er sich durch eine ganze Reihe von Sprachen und Selbst-Übersetzungen kämpfen müssen, um endlich den passenden Ausdruck für seine Trauer in seiner Heimatsprache zu finden. Folgt man L. Forster, so wird offensichtlich, dass sich die Dichter jener Zeit – ob in gebildeten Kreisen oder beim gemeinen Volk – in einem Umfeld bewegten, wo die Mehrsprachigkeit viel ausgeprägter war als bei uns (wenn auch unser Zeitalter durch eine andere Form von Mehrsprachigkeit geprägt wird). Damals gab es zum einen die Sprachen der Gelehrten oder, wie Cervantes sagt, die Königssprachen, also Latein, Griechisch und Hebräisch; dazu gesellten sich verschiedene hoch entwickelte Nationalsprachen wie Französisch, Englisch, Spanisch, Italienisch, und dann noch die Fülle der regionalen Sprachen, der Dialekte, usw. Ein Mensch, der damals durch die Straßen von Paris spazierte, hörte dabei wohl eine weitaus größere Sprachvielfalt als zum Beispiel heute in New York: seine Sprache war nur eine unter vielen anderen, wodurch sich der besondere Wert der eigenen Muttersprache etwas relativierte. In einem solchen Umfeld folgte das Schreiben zumindest teilweise einer Neigung zur Mehrsprachigkeit, während die mittelalterliche Regel zumindest teilweise beibehalten wurde, für bestimmte poetische Gattungen auch ganz bestimmte Sprachen anzuwenden – so wie die Troubadouren Norditaliens vom 13. bis zum 15. Jahrhundert ihre Lyrik auf Provenzalisch und ihre Epik auf Französisch verfassten. Ein Milton erdichtete seine einzigen Liebesgedichte auf Italienisch, zumal « questa e lingua di cui si vanta amore », wie es die Italienerin, an die er sich wendet, in einem seiner Gedichte erklärt. Selbstverständlich war diese Dame auch des Englischen mächtig, aber Englisch war halt nicht die geeignete Sprache für die Angelegenheiten der Liebe. Für Menschen wie Hooft oder Milton wird der Sinn des Übersetzens ein ganz anderer gewesen sein als bei uns, und so war es auch wohl bei ihrer Auffassung von Literatur. Selbstübersetzungen gehören bei uns zu seltene Ausnahmen, ebenso wie der Entschluss von Autoren wie Conrad oder Beckett, in einer anderen Sprache als der eigenen zu schreiben. Wir stehen sogar auf dem Standpunkt, dass Mehrsprachigkeit oder Diglossie sich beim Übersetzen behindernd auswirken könnte. Im Grunde hat sich unser Verhältnis zur Muttersprache, zu den Fremdsprachen, zur Literatur, zum Ausdruck und zur Übersetzung ganz anders ausgebildet, als es in anderen Zeiten der Fall war.

Will man die Geschichte der Übersetzung aufzeigen, so gilt es, mit Geduld die unsäglich komplexen und verschlungen kulturellen Stränge zu entwirren, in die sie sich in jeder einzelnen Epoche auf den unterschiedlichsten Ebenen verfängt, um mit dem auf diese Weise zutage geförderten historischen Wissen in der Lage zu sein, unsere Gegenwart zu entschlüsseln.

Der Status einer dienenden Magd

Letzten Endes geht es darum, zu ermessen, welchen Stellenwert das Übersetzen in unserem heutigen kulturellen Umfeld besitzt. Hinter dieser Fragestellung drängt sich eine andere zweite fast schmerzhaft auf. Es geht um einen Zustand, der hier nicht übersehen werden kann: der Status einer Übersetzung rückt heute stets in den Bereich der Vertuschung, Verdrängung und Verstöße, und das überträgt sich auf den Stellenwert des Übersetzers und führt unter anderem dazu, dass es heute kaum möglich ist, von dieser Tätigkeit zu leben.

Zu jenem Status der dienenden Unterordnung des Übersetzens kommt in den Augen des Publikums und auch der Übersetzer noch etwas Suspektes hinzu. Wie kann es nach so zahlreichen Treffern und Meisterwerken, Überwindungen des für unmöglich gehaltenen sein, dass das italienische Wort vom traduttore traditore bis heute noch den Stab über diese Tätigkeit bricht? Mag sein, dass die Begriffe von Treue und Verrat in diesem Zusammenhang allgegenwärtig sind. « Übersetzen heißt, zwei Meistern gleichzeitig zu dienen », schreibt Franz Rosenzweig. Die Metapher der dienenden Unterordnung findet auch hier wieder Anwendung. Es geht darum, sich dem Werk, dem Autor, der fremden Sprache (als dem ersten Meister), dem Publikum sowie der eigenen Sprache (als zweiten Meister) gegenüber dienend zu verhalten. Hier scheint etwas durch, dass man als das Drama des Übersetzers bezeichnen kann.

Sollte er sich ganz und gar dem Autor, dem Werk und der fremden Sprache mit der Absicht unterwerfen, sie in ihrer rohen Fremdheit seiner eigenen Kulturwelt aufzuzwingen – dann läuft er die Gefahr, als Fremder und Verräter abgestempelt zu werden. Wobei dieses von Schleiermacher als « Heranführen des Lesers zum Autor » bezeichnete kühne Unterfangen tatsächlich zum Unverständlichen umschlagen kann. Sollte aber dieser Ansatz gelingen und in Glücksfällen sogar Anerkennung finden, dann bleibt zu befürchten, dass die Kulturwelt des Originals sich beraubt fühlt. Womit wir das sehr heikle Thema der Beziehung zwischen einem Übersetzer und « seinen » Autoren anstoßen.

Wenn aber der Übersetzer sich damit begnügt, das fremdsprachige Werk in gängiger Weise anzupassen – Schleiermacher sprach in diesem Zusammenhang vom « Heranführen des Autors an den Leser », dann wird er zwar den weniger anspruchsvollen Teil des Publikums zufriedenstellen, aber um den Preis eines offensichtlichen Verrats am ausländischen Werk sowie natürlich auch an der Kernaufgabe des Übersetzungsvorgangs.

Dieses Verharren zwischen den Stühlen entspricht allerdings nicht dem Wesen des Übersetzens, sondern gründet vielmehr auf einer Reihe von ideologischen Vorurteilen. Das von Forster erwähnte gebildete Publikum des 16. Jahrhunderts erfreute sich daran, ein Werk in seinen verschiedenen sprachlichen Ausprägungen zu lesen; jenem Publikum waren die Vorstellungen von Treue und Verrat fremd, weil es seiner Muttersprache keine Sonderstellung zuwies. Es mag sein, dass es diese Sakralisierung der Muttersprache ist, die dem Fortbestehen des italienischen Bonmots und darüber hinaus aller so genannten « Probleme » des Übersetzens zugrunde liegt.  Unser gelehrtes Publikum verlangt dagegen, dass das Übersetzen sich in einem Bereich aufhält, wo es immer suspekt bleibt. Daraus ergibt sich – wenn auch andere Gründe mitspielen – die Unscheinbarkeit des Übersetzers, der « sich ganz klein macht », demütig fremde Werke vermittelt und immer als Verräter gilt, obwohl er wie kein zweiter die Treue verkörpern möchte.

Es drängt sich auf, den verdrängten Stellenwert der Übersetzung und die dadurch zutage tretenden, sich ihr in den Weg stellenden Widerstände zu hinterfragen. Was sich auch folgendermaßen formulieren lässt: jede Kultur sträubt sich gegen das Übersetzen, obgleich das Übersetzen gleichzeitig seinem innersten Bedürfnis entspringt. Die Absicht des Übersetzens, sei es über die Schriftform einen Bezug zum anderen aufzubauen, oder das Eigene durch die Vermittlung des Fremden zu befruchten, verstößt diametral gegen die ethnozentrische Struktur jeder Kultur, oder gegen jene Form des Narzissmus, bei der jede Gesellschaft danach strebt, ein unbeflecktes Ganzes ohne jede Beimischung zu sein. Dem Übersetzen hängt ein Hauch von erzwungener Mischgeburt an. Herder hat das sehr wohl erkannt, indem er eine Sprache, die die Erfahrung des Übersetzens noch nicht gemacht hat, mit einer Jungfrau vergleicht. Mag die Vorstellung einer jungfräulichen Kultur und Sprache in Wirklichkeit ebenso realitätsfremd sein wie die einer reinen Rasse: hier artikulieren sich unbewusste Wunschvorstellungen. Jede Kultur würde gerne sich selbst genügen, um aufgrund dieser vermeintlichen Selbstgenügsamkeit andere Kulturen zu überschatten und in Besitz zu nehmen. Davon zeugen sowohl das antike Rom wie das klassische Frankreich und heutzutage auch die Nordamerikanische Kultur auf eklatante Weise.  

In diesem Kontext verhält sich das Übersetzen äußerst ambivalent. Einerseits beugt es sich der Vorgabe, das Fremde zu bannen und es einzuschränken, und wirkt somit wie ein Handlanger. Auf diese Weise entstehen ethnozentrische Übersetzungen, oder etwas, das man als eine « schlechte » Übersetzung bezeichnen mag. Gleichzeitig widersetzt sich der dem Übersetzen innewohnende ethische Anspruch: ist der Vorgang des Übersetzens von seinem Wesen her doch ein Öffnen, ein Dialog, ein Vermischen und Entrücken. Eine Übersetzung, die nicht verbindet, bleibt wertlos.

Jener Widerspruch zwischen der einschränkenden Absicht einer jeden Kultur und der ethischen Absicht des Übersetzens wiederholt sich auf anderen Ebenen, sei es die der Theorien und der Übersetzungsmethoden (zum Beispiel in der abgenutzten Gegenüberstellung von Verfechtern des Wortlauts und des Sinns) oder der Übersetzungspraxis und der Psyche des Übersetzens. Damit das Übersetzen zu seinem eigentlichen Wesen vordringt, bedarf es also einer Ethik und einer Analytik.

Eine Ethik des Übersetzens

Auf der Ebene der Theorie besteht die Ethik des Übersetzens darin, ihr ursprüngliches Wesen und Streben zu behaupten und als solches zu verteidigen. Es gilt, den Begriff der Übersetzungstreue genauer zu bestimmen. Übersetzen lässt sich nur unzureichend mit Begriffen aus der Kommunikationstheorie erfassen, geht es dabei doch um weit mehr als die Vermittlung von Botschaften oder um eine erweiterte Form von rewording. Es handelt sich auch nicht um eine rein literarische oder ästhetische Tätigkeit, auch wenn sie noch so eng mit der literarischen Praxis eines bestimmten Kulturraums verknüpft ist. Übersetzen bedeutet natürlich Schreiben und Vermitteln. Aber diese bestimmte Art des Schreibens und der Vermittlung erreicht nur mittels der ethischen Steuerung ihre ursprüngliche Absicht. So steht das Übersetzen der Wissenschaft näher als der Kunst – zumal, wenn man von einer ethischen Unverantwortbarkeit der Kunst ausgeht.

Im Rahmen einer Theorie der Übersetzung gilt es, diese ethische Absicht genauer zu bestimmen, um damit das Übersetzen aus seinem ideologischen Kerker hinauszuführen.

Diese positive Ethik kann sich allerdings nur unter einer doppelten Voraussetzung entfalten: erstens bedarf es einer negativen Ethik, also einer Untersuchung der ideologischen und literarischen Wertvorstellungen, die dazu neigen, die Übersetzung von ihrem innersten Impuls wegzulenken. Ich bezeichne eine Übersetzung als misslungen, wenn sie unter dem Vorwand der Vermittelbarkeit systematisch die Fremdheit des ausländischen Werkes negiert.  

Eine Analytik des Übersetzens

Die negative Ethik sollte um eine Analytik der Übersetzung und des Übersetzens ergänzt werden. Der kulturelle Widerstand generiert systematisch Verformungsgewohnheiten, sowohl auf der sprachlichen wie auch der literarischen Ebene. Sie alle prägen die Tätigkeit des Übersetzers, ganz gleich, ob er es will oder ob er sich dessen bewusst ist. Die umkehrbare Dialektik der Treue und des Verrats prägt sogar die Ambivalenz seiner Haltung als Schreiber: ein reiner Übersetzer braucht als Ausgangspunkt seines Schreibens ein ausländisches Werk, eine Fremdsprache und einen nicht einheimischen Autor. Das ist ein beträchtlicher Umweg. Auf der Ebene seiner Psyche ist der Übersetzer ebenfalls ambivalent, indem er mit Gewalt in zwei entgegengesetzte Richtungen strebt: seiner eigenen Sprache möchte er mit ebensolcher Vehemenz Fremdheit auftrotzen, wie er die fremde Sprache in seine Muttersprache überführen will (1). Er strebt zum Schriftsteller, ist letztendlich aber lediglich ein Nach-Schriftsteller. Er agiert wie ein Autor – aber eben ohne der Autor zu sein. Sein Schaffen bildet als solches ein eigenständiges Werk, aber es ist nicht mit einem schöpferischen Werk gleichzusetzen. Nur zu leicht verbiegt dieses Netzwerk von Ambivalenzen den dem Übersetzen ursprünglich innewohnenden Ansatz und verknüpft sich mit dem oben erwähnten verzerrenden ideologischen System, um es dadurch noch zu verstärken.

Damit dieser ursprünglich innewohnende Impuls der Übersetzung nicht als Wunschdenken oder als ein « kategorischer Imperativ » verkümmert, sollte die Ethik um eine Analytik erweitert werden. Ein Übersetzer mag sich « in die Analyse begeben » und dabei ausmachen, welches die Verzerrungsformen sind, die seine Tätigkeit bedrohen und unbewusst auf seine sprachlichen und literarischen Entscheidungen Einfluss nehmen. Diese Formen der Verzerrung beziehen sich sowohl auf die Register der Sprache als auf die der Ideologie, der Literatur und der Psyche des Übersetzers. Man könnte fast von einer Psychanalyse des Übersetzens sprechen, ganz in dem Sinne, wie Bachelard von einer Psychanalyse des wissenschaftlichen Geistes spricht: man trifft bei ihm ja auf eine ähnliche Askese, eine ähnliche Selbstbetrachtung. Diese Analytik kann über umfassende sowie über eng umgrenzte Untersuchungen untermauert werden. Zum Beispiel kann es darum gehen, dass man bei einem gegebenen Roman den operierende Übersetzungsansatz durchleuchtet. Im Falle einer ethnozentrischen Übersetzung neigt der Übersetzungsansatz dazu, den Aufbau des Originals zu zerstören. Jeder Übersetzer kann die Tücke dieser unbewussten Zersetzungsmaschinerie bei sich selbst beobachten. Es passt zu dieser Analytik, dass ihre Arbeit über den Übersetzer hinaus auch andere miteinbezieht. Man würde sich sodann in Richtung einer offenen und nicht mehr so einsamen Praxis des Übersetzens bewegen, die auch zur Ausbildung einer Übersetzungskritik, die die Textkritik begleitet und ergänzt, beitragen könnte. Mehr noch sollte sich jener Analytik der Übersetzungspraxis eine Form von Textanalyse zugesellen, die vom Verständnishorizont der Übersetzung ausgeht: jeder zu übersetzende Text zeichnet sich durch ein ihm innewohnendes System aus, auf das der Duktus der Übersetzung stößt, und es gleichsam freilegt. In diesem Sinne konnte Pound getrost von der Übersetzung behaupten, sie sei eine ursprüngliche Form von Kritik, zumal sie die verborgenen Strukturen eines Textes zu Tage treten lässt. Dieses werkimmanente System sträubt sich am meisten gegen die Übersetzung, aber es handelt sich auch um etwas, das die Übersetzung überhaupt ermöglicht, und ihr einen Sinn verleiht.

Der andere Hangseite des Textes

In diesem Zusammenhang wäre es ebenfalls wünschenswert, auch das System der « Gewinne » und « Verluste » zu analysieren, die sich bei jeder Übersetzung, selbst bei einer vollendeten, einstellen. Es handelt sich dabei um das, was man das Approximative der Übersetzung bezeichnet. Indem Novalis durchscheinen ließ, dass eine Übersetzung das Original « potenziert », hat er uns nähergebracht, dass Gewinn und Verlust nicht auf der gleichen Ebene anzusiedeln sind. Mit anderen Worten lässt sich eine Übersetzung nicht auf einen bestimmten Prozentsatz von Gewinnen und Verlusten reduzieren. Ganz unabhängig von dieser nicht zu verleugnenden Bilanzrechnung gibt es auch eine andere Dimension. Dort scheint etwas vom Original durch, was in der Ausgangssprache gar nicht zutage trat. Die Übersetzung rüttelt am Werk und macht dabei eine andere Hangseite sichtbar. Um welche Hangseite handelt es sich dabei? Nun, das gilt es gerade, herauszustellen. Dementsprechend sollte eine Analytik der Übersetzung uns etwas über das Werk beibringen, sowie über dessen Bezug zu seiner Sprache und zur Sprache überhaupt. Und das ist etwas, das weder ein Lesevorgang noch eine Textkritik aufdecken kann. Eine Übersetzung, die das werkeigene System in seiner eigenen Sprache re-produziert, offenbart diese eine neue Hangseite, und das ist auf jeden Fall eine Bereicherung, eine « Potenzierung ». Goethe folgte einer ähnlichen Intuition, als er diesbezüglich den Begriff einer « Regenerierung » prägte.  Es kommt vor, dass ein Werk durch eine Übersetzung « regeneriert » wird. Es geht dabei nicht alleine um die kulturelle oder soziale Bedeutung, sondern um die spezifische Art, wie es uns anspricht. Als Pendant dazu kann man erkennen, dass die Übersetzung in der Zielsprache bis dahin latent schlummernde Möglichkeiten freisetzt, wie nur sie es, ganz anders noch als die Literatur, zu tun vermag. Als Dichter erweitert Hölderlin das Spektrum der deutschen Sprache in einer ähnlichen aber nicht identischen Weise zu seiner Tätigkeit als Übersetzer.

Metaphysisches Streben und Übersetzungstrieb

Ich möchte jetzt kurz untersuchen, wie sich die rein ethische Ausrichtung der Übersetzung sowohl zu einer metaphysischen Ausrichtung, verhält, als auch zu dem, was man als Übersetzungstrieb bezeichnen kann. Damit meine ich diese Lust auf das Übersetzen, die einen Übersetzer überhaupt erst zum Übersetzer macht, und die man mit dem Freudschen Begriff des Triebes belegen kann, da ihm, wie Valéry Larbaud es betont, etwas triebhaft « sexuelles » innewohnt.

Was ist mit der metaphysischen Ausrichtung der Übersetzung gemeint? In einem fast zum Kanon erhobenen Text geht Walter Benjamin auf die Aufgabe des Übersetzers ein. Diese Aufgabe bestünde jenseits der empirischen Sprachen in der Suche einer « reinen Sprache », die jede Sprache wie ein Echo des Erlösers in sich trägt. Diese Ausrichtung, die sich deutlich von einer ethischen absetzt, ist ganz und gar metaphysisch, und zwar deshalb, weil sie auf platonische Weise nach eine « Wirklichkeit » jenseits der natürlichen Sprachen Ausschau hält. Wie Benjamin es in seinem Essay hervorhebt, waren es die deutschen Vertreter der Romantik und allen voran Novalis, die diesen Ansatz vertraten. Es handelt sich dabei um eine Übersetzungsform, die sich gegen Babel und gegen die Vorherrschaft der Unterschiede und der Empirik stemmt. Erstaunlicherweise ist es auch das, wonach auch der Übersetzungstrieb sozusagen in seiner ungebändigten Form trachtet, und die zum Beispiel bei A.W. Schlegel oder Armand Robin zutage tritt. Der Wunsch, alles zu übersetzen, ein vielfältiger oder allumfassender Übersetzer zu sein, paart sich dort mit einem spannungsgeladenen, wenn nicht sogar widerstrebenden Verhältnis zur Muttersprache. Folgt man A. W. Schlegel, so ist die deutsche Sprache unbeholfen, steif, sie wird zwar dem « Arbeiten », nicht aber dem « Spielen » gerecht. Die Übersetzungsbessenheit gehorcht entsprechend dem Vorsatz, die « Mutterpsrache » zum Spielen zu bringen. An einem bestimmten Punkt verschmelzt dieser Ansatz mit dem der Ethik, der bei Humboldt zum Ausdruck kommt, wo die Übersetzung die Aufgabe hat, das Deutsche « zu strecken ». In Wirklichkeit aber setzt sich der Übersetzungstrieb ein Ziel, dass weit über jedes humanistische Projekt hinausgeht. Die Übersetzungsbesessenheit wird zum Selbstzweck und ihr innerster Zweck liegt eher darin, die Muttersprache auf radikale Weise zu entfremden. Der Übersetzungstrieb geht immer von der Ablehnung dessen aus, was Schleiermacher das „heimische Wohlbefinden der Sprache“ nennt. Die Triebhafte Übersetzung setzt stets voraus, dass eine andere Sprache die eigene in ontologischer Hinsicht übertrifft. So gehört es zu den ersten Erfahrungen eines Übersetzers, dass ihm seine eigene Sprache gegenüber dem fremden Werk als unzureichend und arm erscheint. Der Unterschied zwischen den Sprachen – der fremden und der eigenen Sprache – wird hier einer Hierarchie unterworfen. Zum Beispiel gelten die englische oder die spanische Sprache als « geschmeidiger », « konkreter » und « reicher » als das Französische! Eine solche Hierarchisierung hat nichts mit einer objektiven Feststellung zu tun, sie bildet aber den Ausgangspunkt des Übersetzers, der sie auch in seiner Praxis immer wieder antrifft, und die er immer wieder unterstreicht. Im Falle von Armand Robin wirkt dieser Hass auf die Muttersprache als Motor seines Übersetzungstriebs. Armand Robin verfügte sozusagen über zwei Muttersprachen, das Fissel – ein bretonisches Dialekt – und Französisch. Seine vielfältige Übersetzungstätigkeit entspringt offensichtlich dem Hass, den er seiner « zweiten » Muttersprache gegenüber empfindet, eine Sprache, die mit einer großen Schuld beladen ist:

„Ich liebte die für mich reinen und so abseits liegenden Fremdsprachen umso mehr: in meiner französischen Sprache (also meiner zweiten Sprache) gab es nur Verrat.

Dort bekannte man sich zur Niedertracht.

Offensichtlich paart sich hier jene metaphysische Ausrichtung, die Beschränkung der empirischen Sprachen und auch der eigenen geradezu messianisch durch eine Bewegung zur wahren Sprache aufzuheben – Robin meint dazu : « das Wort sein und nicht Wörter » - mit dem reinen Übersetzungstrieb, der die Muttersprache über die Auseinandersetzung mit Nicht-Muttersprachen zu verwandeln trachtet, welche als solche stets einen höheren Rang einnehmen und « biegsamer », « spielerischer » oder « reiner » sind.

Man könnte es so formulieren, dass die metaphysische Ausrichtung der Übersetzung den Übersetzungstrieb auf eine falsche Weise sublimiert, während die ethische Ausrichtung sie überwindet. In der Tat bildet der Übersetzungstrieb eine psychische Grundlage für die ethische Ausrichtung – ohne jenes Fundament würde sie als kraftloser Imperativ verpuffen. Die Mimesis der Übersetzung ist zwangsläufig triebhaft. Gleichzeitig aber geht sie über diese Treibhaftigkeit hinaus, zumal sie nicht mehr auf die vom Trieb und auch von der metaphysischen Ausrichtung angestrebte untergründige Zersetzung / Verwandlung der Muttersprache setzt. In der durch den ethischen Ansatz sich vollziehenden Überwindung tritt ein anderer Wunsch hervor: es geht nun darum, zwischen der fremden Sprache und der eigenen einen Austausch aufzubauen.

Die Geschichte der Übersetzung

Die Ethik der Übersetzung

Die Analytik der Übersetzung

bilden demnach die drei konstituierenden Stränge einer modernen Forschung des Übersetzens und der Übersetzer.

Übersetzen und Transtextualität

Diesen drei Hauptsträngen gesellt sich ein vierter bei, der eng mit dem Bereich der Literaturtheorie und der Transtextualität verbunden ist. Ein Werk mit einer literarischen Bedeutung entfaltet sich immer auch in Hinblick auf seine Übersetzung. Der Fall des Don Quichotte belegt das auf frappierende Weise. In seinem Roman behauptet Cervantes, das Manuskript der Abenteuer seines Helden sei aus dem Arabischen übersetzt worden. Das Original stamme von einem Mauren namens Cid Hamet Bengeli. Hinzu kommt, dass Don Quichotte und der Pfarrer an mehreren Stellen gelehrte Gespräche über die Übersetzung führen, während die meisten Romane, die den Geist des « Helden » benebeln, ebenfalls Übersetzungen sind. Es zeugt von einer verblüffenden Ironie, dass der größte spanische Roman von seinem Verfasser als eine Übersetzung aus dem Arabischen angeboten wird – also jene Sprache, die jahrhundertelang auf der iberischen Halbinsel den Vorrang hatte. Dies könnte man auch in Hinblick auf ein besseres Verständnis des spanischen Kulturbewusstseins deuten. Aber es geht dabei auch um das besonders enge Verhältnis von Literatur und Übersetzung. Im Laufe der Jahrhunderte findet dieses besondere Verhältnis seine Bestätigung, ausgehend von den Dichtern des 15. Und 16. Jahrhunderts und später bei Hölderlin, Nerval, Baudelaire, Mallarmé, George, Rilke, Benjamin, Pound, Joyce oder Beckett.

In Hinblick auf die Entwicklung der Übersetzungstheorie tut sich hier ein vielversprechendes Feld auf, allerdings unter der Voraussetzung, dass sie den zu engen Rahmen der Transtextualität sprengt und eng mit den Forschungen zu den Sprachen und Kulturen verknüpft wird. Es handelt sich also um eine fachübergreifendes Feld, wo Übersetzer gewinnbringend mit Schriftstellern, Literaturtheoretikern, Psychoanalytikern und Linguisten zusammenarbeiten können.

Paris, Mai 1981

(1)

Man kann diesen Standpunkt gut mit dem von nicht-französischen Schriftstellern vergleichen, die auf Französisch schreiben. Es handelt sich dabei in erster Linie um die frankophone Literatur aber auch um Werke in französischer Sprache, die von Schriftstellern verfasst wurden, welche keineswegs aus frankophonen Ländern stammen, so zum Beispiel Samuel Beckett. Fassen wir diese Schöpfungen unter dem Sammelbegriff des « fremden Französisch » zusammen. Sie wurden von « Fremden » auf Französisch verfasst und tragen das Merkmal dieser Fremdheit in ihrer Sprache und auch in ihrer Thematik. Ihre Sprache ähnelt manchmal der Sprache der Franzosen aus Frankreich, wenn auch eine mehr oder weniger spürbare Kluft sie davon ebenso trennt wie die, die zwischen unserer französischen Sprache und den auf Französisch verfassten Passagen in Krieg und Frieden oder Der Zauberberg besteht. Dieses fremde Französisch steht in einem engen Verhältnis zum Französischen als Zielsprache einer Übersetzung. In dem einen Fall geht es um Ausländer, die auf Französisch schreiben und somit unserer Sprache den Siegel ihrer eigenen Fremdheit aufdrücken; im anderen geht es um fremdsprachige Werke, die auf Französisch umgeschrieben werden, in unserer Sprache Aufnahme finden und sie somit ebenfalls durch ihre Fremdheit beeinflussen. Samuel Beckett versinnbildlicht wie kein anderer die enge Zusammengehörigkeit dieser beiden französischen Randsprachen, zumal er einige seiner Werke auf Französisch geschrieben hat, und andere eigenhändig aus dem Englischen übertragen hat. In vielen Fällen sind jene Werke Teil eines zwei- oder mehrsprachigen Umfeldes, wo die französische Sprache sich in einer besonderen Lage befindet: die einer Minderheit, die mit der Vorherrschaft einer anderen Sprache auskommt, oder die vorherrschende Sprache, aber in allen Fällen wird sie mit anderen Sprachen konfrontiert, und meist in Zusammenhang mit einem Sprachkonflikt. Das alles hat wenig mit der Situation zu tun, die in Frankreich vorherrscht, zumal Frankreich trotz aller weiter bestehenden Regionalsprachen dazu neigt, sich als monolingual zu erleben. Die spezifische Situation des « fremden französisch » generiert Werke, die auf eine doppelte Weise gekennzeichnet sind: als ausländische Werke, die ein Französisch aus den Randzonen verwenden, neigen sie zum Ortstypischen und nehmen gerne den Volksmund in sich auf. Als französisch verfasste Werke neigen sie andererseits dazu, auf ein « reineres » französisch zurückzugreifen, als es in Frankreich der Fall ist. Damit wollen diese Werke eine Zugehörigkeit unterstreichen und sich dezidiert von den sie umgebenden dominanten Sprachen absetzen. Beide Neigungen finden manchmal in ein und demselben Werk ihren Ausdruck, wie man das bei Edouard Glissant oder Simone Schwartz-Bart feststellen kann. In allen Fällen wirkt der fremd-französische Text anders als ein in Frankreich verfasster französischer Text. Beide eher entgegengesetzten Neigungen rücken diese Texte in die Nähe der Übersetzungssprache, durch die ein Übersetzer, der mit einem fremdsprachigen und andersartigen Text konfrontiert wird, ebenso dazu neigt, seine Sprache zu verteidigen (sie französisch zu überzeichnen), als auch dazu, der Fremdartigkeit Einlass zu gewähren. Dieser strukturelle Parallelismus ist verblüffend, und so ist es nicht verwunderlich, dass jene fremd-französische Autoren die grundlegende Absicht des Übersetzers teilen, der seine Sprache anreichern möchte. So schreibt der aus Maurizius stammende Dichter Edouard Maunick: « Ich würde gerne die französische Sprache künstlich befruchten » (« Ecrire, mais dans quelle langue ? », Le Monde, 11-3-1983).

Die Veröffentlichung der Übersetzung (Jonas Tophoven). erfolgt aus Anlass des Todestages mit Zustimmung von Isabelle Berman